Da seufzte er innerlich auf und sagte: „Was fordern diese Mitmenschen ein Zeichen? Ja, ich sage euch: Es wird diesen Mitmenschen kein Zeichen gegeben werden.“ (Mk 8, 12)
Es ist relativ einfach (und vielleicht auch einfach – simpel), dieser Gegenwart, dieser Zeit (dem Aion, wie es im Neuen Testament so wundervoll heisst) ihren Materialismus und ihre Körperfixierung vorzuwerfen. Niemand ist davon frei.
Denn mit dem Materialismus, dem Konsumismus und der „geplanten Obsoleszenz“ ist nicht alles gesagt. Dieses Phänomen baut in meinen Augen auf dem Rationalismus, dem Empirismus auf, wonach alles, was ist, empirisch oder rational erklär- und erforschbar sein muss. Was nicht empirisch beweisbar ist, ist nicht, sagt diese Denkrichtung. (Ich spitze bewusst zu.)
Gleichzeitig ist es nur zu menschlich, für mitmenschliche Zuneigung, für Freundschaft und Elternschaft ständig Beweise oder Zeichen einzufordern. Wer kennt nicht das ständige Fragen zwischen Liebenden: „Liebst du mich? Wie liebst mich? Warum liebst du mich? Wofür liebst du mich? Liebst du mich wirklich, wirklich? Wirst du mich auch noch lieben, wenn…“
Doch ist Zuneigung und Vertrauen nicht letztschlüssig beweisbar. Wir können davon Zeichen geben, von Blumen über Küsse bis zu Kettchen und Ringlein. Doch sind es nur Zeichen, keine Beweise. Der andere, die andere muss sich darauf verlassen.
Dabei denke ich unmittelbar an diesen Ausruf des Schriftgelehrten, der bei Markus 9, 14-29 seinen Sohn zu Jesus bringt, damit er ihn vom bösen Geist heile. Der Vater ruft zu Jesus:
„Ich vertraue, hilf meinem Mangel an Vertrauen!“ (BigS)
oder
„Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ (EÜ)
In der Sprache unserer Zeit heisst dies, dass wir immer einen Vorschuss, einen Kredit an Vertrauen leisten müssen, um auf Vertrauen zählen zu können. Und letztlich ist alles eine Sache des Verhandelns. Das sehe ich in meiner täglichen Arbeit mit meinen Schülern. Sie sind es sich gewohnt, dass alles verhandelbar, aushandelbar ist. Und das Ausgehandelte, der Deal sozusagen, ist auch nicht fest und in Stein gemeisselt, er kann jederzeit in Frage gestellt und neu auf den Verhandlungstisch gelegt werden.
Als der Kulturpessimist, der ich bin, schreibe ich dieses Verhaltensmuster einerseits der „modernen“ Erziehung zu, wonach die Erwachsenen mit den Kindern zunehmend als gleichberechtigt und gleichwertig Handelnde umgehen. Es ist dies m.E. etwas anderes als die Mentalität des Mittelalters, welche die Kinder früh schon als „kleine Erwachsene“ behandelte, denn damals mussten die Kinder auch schon die Rolle der Erwachsenen einnehmen, als Erwachsene handeln, für ihre Handlungen gerade stehen wie die Erwachsenen. (Und ich nehme mich hier als Vater zweier Kinder auch gar nicht aus; auch ich behandle meine Kinder manchmal so. Auch ich handle mit meinen Kindern gewisse Bedingungen aus, schliesse sogenannte „Deals“ mit ihnen.)
Heute aber sind die Kinder – Kinder, wenn man von ihnen auch ständig Leistungen und Beweise des Fortschritts abverlangt. (Sie sind es so lange, dass gewisse Erwachsene noch Reflexe und Handlungsweisen von Kindern aufweisen können.) Sie sind insofern Kinder, als sie noch keine Verantwortung übernehmen müssen.
Was aber hat das mit Vertrauen, was hat das denn mit dem Glauben zu tun?!
Auch in unserem Glauben sind wir auf Beweise aus, auf Zeichen, wie es in der Bibel heisst. Wenn wir beten, bitten wir. Und die Bibel selbst ist voller Zeugnisse davon, wie der Mensch unentwegt mit Gott „rechtet“, mit ihm in einer steten Verhandlung begriffen ist. Nach Jack Miles ist dies eine der grössten Errungenschaften des jüdischen Glaubens (ich zitiere sehr frei): dass der Mensch an Gott gelangt, um mit ihm zu streiten über die Situation in der Welt, über die eigene Situation und/oder Position der Welt.
Der grosse Unterschied jedoch, so scheint mir, zum empirisch-materialistischen Handeln: Das einfordern eines Zeichens, eines Beweises, gründet auf Vertrauen, auf ein bedingungsloses Geben. Es ist kein „wenn ich dir das gebe, dann gibst du mir das“. Nein, es ist ein Wissen darum, dass es so sein wird. Es ist daher kein Fordern, kein Einfordern, kein Verhandeln. Diese Zwiesprache, dieser Austausch zwischen Gott und Mensch (oder zwischen Mensch und Mensch) nimmt das Schweigen an (nicht hin!), das Verweigern und das Zögern. Diesem Gestus des Glaubenden ist das Vertrauen wichtiger als das Resultat.
Der Glaubende handelt, um es in der Terminologie der Spieltheorie des homo oeconomicus zu sagen, so, als ginge es um ein Nullsummenspiel, obwohl er weiss, dass es sich wahrscheinlich um ein Plus- oder Minussummenspiel handelt. Er vertraut, um es nochmals anders auszudrücken, auf eine Win-Win-Situation, ohne dieser jedoch ganz sicher zu sein.
Letztlich heisst das aber, wer vertraut, würfelt nicht; wer vertraut, (ver-)handelt nicht.
Und es geht uns selbst wie dem Schriftgelehrten: wir müssen um Hilfe für das Vertrauen bitten. Aber in dieser Geste des Um-Hilfe-Bittens tun wir schon das Wesentliche: wir gehen auf Gott, auf den anderen Mitmenschen zu. Wir gestehen unsere Schwäche ein. Das ist so etwas anderes als das stete Betonen der eigenen Leistung, der eigenen Vorleistung!
Und hier möchte ich den Kreis schliessen und wieder auf den Empirismus und Materialismus zurückkommen.
Was diesem nicht beweisbar ist, habe ich gesagt, ist nicht. Alles Metaphysische (und ich als Lyriker sage: alles Poetische) ist diesem – fast hätte ich geschrieben: Glauben! -, dieser Denkform fremd. Was der Empiriker glaubt, ist normativ und nominativ, lässt sich anfassen und ordnet/regelt.
Wie sehr wir Menschen doch manichäisch denken (müssen?). Es fällt uns schwer, Gleichzeitigkeit oder Parallelität zu ertragen. Der Glauben aber fordert gerade das ein. Er will uns als Empiriker und als Metaphysiker. Er will uns die Quadratur des Kreises, das Perpetuum Mobile als möglich hinhalten.
Wie sagt es mein gehasst-geliebter Paulus so köstlich in seinem Römerbrief?
Schwimmt nicht mit dem Strom, sondern macht euch von den Strukturen dieser Zeit frei, indem ihr euer Denken erneuert. (BigS, Röm 12, 2)
Denn Gott, sagt er ebenfalls, hat „alle in ihrem Starrsinn eingeschlossen“ in seine Barmherzigkeit. Auch das ist für uns, wenn wir nur auf Zeichen und Beweise aus sind, unverständlich und nicht nachvollziehbar: wie kann man ein Ethos einfordern und doch diejenigen mit einbeziehen, die es übertreten und verletzen?
Mit Vertrauen in die dem Menschen eingeborene Gerechtigkeit?
Ja, Vertrauen beruht auf Gegenseitigkeit. (Der langen Rede kurzer Sinn…) Vertrauen wir Gott, vertraut er uns. Aber wir handeln nicht mit ihm darum, denn er vertraut uns vor uns. Wir wissen darum; unbeweisbar wissen wir darum. Und erst dann vertrauen wir so, dass Gott uns vertraut.
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