(Alle diese Texte hätten nicht entstehen können ohne den Anstoss durch D. Alle diese Texte hätten nicht entstehen können ohne meine Gespräche mit D. und Y. Ihnen danke ich für ihre Schwestern- und Bruderschaft im Glauben.)
Das Gottesreich ist ein Reich für das Diesseits. Es entsteht und besteht in gesonderten, einfallenden Momenten. Es ist immer vorübergehend, doch unsere Bemühung als auf Gott ausgerichtete Person ist immer dauerhaft, manchmal auch dauerhaft vergeblich. Denn dieser Moment ist ein Geschenk Gottes, Anzeichen seiner Gegenwart in der Gegenwart.
Das Gottesreich im Diesseits wollen
Wie viele Male hat Jesus in seiner Lehre und seinen Sinnbildern auf die Diesseitigkeit, ja auf die Gegenwärtigkeit, die Aktualität des Gottesreiches hingewiesen: als ein Festmahl, das verspätet stattfindet und ein Warten darauf einfordert; als ein Quäntchen Sauerteig, das das Mehl zum Brot macht; als ein winziger Samen, der zu einem mächtigen Baum heranwächst.
Das Gottesreich hat eine Zukunftsperspektive: es öffnet das menschliche Streben auf eine nahe Zukunft hin, der Veränderung, Umkehr widerfahren ist. Doch wurzelt das Gottesreich im gegenwärtigen Diesseits: der Impuls zur Veränderung, die transformative Tat muss hier und jetzt getan werden, damit ihre Möglichkeiten sich verwirklichen können. Das Gottesreich fordert unsere Mitwirkung, unseren Eingriff für die Entstehung einer unabsehbaren Folge, einer befreienden Auswirkung. Die Konsequenzen dieser Tat liegen in greifbarer Nähe, in unmittelbarer Zukunft – und nicht in einem fernen Endpunkt menschlicher Entwicklung und Hoffnung.
Das Gottesreich ist also ein aktives Streben nach Veränderung, hinzu einem vorübergehenden, instabilen Zustand von (auch materiellen) Reichtum, Frieden und (nicht nur ausgleichender!) Gerechtigkeit.
In der Apokalypse nicht hoffen; jede Zeit als Endzeit verstehen und handeln
Ein ganz anderes Ding ist es mit den apokalyptischen und Endzeit-Erwartungen. Auch hier ist der Mensch Jesus ganz in seiner jüdischen Zeit und Umwelt zu verstehen: denke nur an das wundervolle Gleichnis und Geschehnis in Gerasa (Lk 8,26-39), wo Dämonen in Schweine einfahren. Damit nimmt Jesus bewusst die römische Besatzung in die Kritik, symbolisiert durch die Legio X Fretensis, die einen Eber als Wappentier führte.
Diese heutige Jetzt-Zeit ist eine durchaus apokalyptische: heute steht sogar der Untergang der Welt, wie Menschen sie kennen, in vielleicht nur allzu naher Zukunft bevor; dieser Untergang scheint immer unausweichlicher und rückt immer näher.
Nicht umsonst wimmelt es in unserer vor allem medialen Kultur von apokalyptischen Visionen und Versionen. Die Dystopie ist scheinbar die einzige, letzte Form, wie die Menschheit sich ihre Geschichte zu erzählen vermag.
Apokalypse meint ja im Ursprung eine Enthüllung: ein Aufdecken dessen, was verborgen und/oder unsichtbar ist. So versteht sich ja der Text von Johannes‘ Offenbarung nicht nur als eine Schilderung apokalyptischer, endzeitlicher Zustände und Momente, sondern auch als Darstellung der verborgenen Prinzipien und Mechanismen, Rollen und Perspektiven dieser Welt.
Das Christentum hat in seiner Entwicklung mit diesen beiden Heilserwartungen gearbeitet:
- mit dem Versprechen eines Gottesreichs, das in naher Zukunft uns zutiefst betreffen, treffen und erfassen wird einerseits,
- mit der Kritik der herrschenden Zustände, die in weiter Ferne, zu einer unbekannten Frist, zugunsten einzig der Glaubenden aufgelöst und grundlegend-umwälzend verändert werden andererseits.
Sie ist dabei einem weiteren Dualismus auf den Leim gegangen – neben jenem zwischen Körper und Geist: dem gegeneinander Ausspielen von diesseitiger Wirklichkeit und möglichem jenseitigen Erwartungshorizont.
In diesem dualistischen Spiel – das den Menschen zutiefst betrügt – scheint mir letztlich verloren gegangen, was Jesus und seinen Zeitgenossen sehr bewusst war: Veränderung braucht Einsatz im Hier und Jetzt, damit eine neue Form von Diesseits keimen kann.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Zeitumstände und Weltläufe kann es sich, darf es sich die Glaubende und die glaubende Gemeinschaft nicht mehr leisten, auf diese ferne Erlösung im Jenseits oder im Jüngsten Gericht zu hoffen.
Das Gottesreich muss von uns Glaubenden aller Religionen und Glaubensrichtungen in unsere Gegenwart hereingezerrt werden, mit Einsatz und Zuversicht.
Hoffen (ver-)hindert
Die Wirklichkeit verträgt keine Vertröstungen mehr: die Gegenwart ist von der Zukunftshoffnung zu befreien. Dieser eine meist flüchtige Moment des Gottesreichs, der sich durchaus wie eine finale Be- oder Aburteilung anfühlen kann, darf nicht länger mehr ein Objekt der Hoffnung sein. Hoffnung macht das Aufschieben von Handeln und Denken zu einem Anreiz. Dieser Moment aber, der alles umkehrt und verändert, dieser Moment ist möglich und in unseren Händen, in Reichweite und in unserem Auftrag.
Wer den Menschen heute noch vertröstet in eine Zeit nach seinem Leben oder auf eine Erlösung „am Ende der Tage“, macht sich in meinen Augen einer Todsünde schuldig: der Trägheit.