Glauben ohne Konfession III – Gegen Vertröstungen und gegen die Hoffnung

(Alle diese Texte hätten nicht entstehen können ohne den Anstoss durch D. Alle diese Texte hätten nicht entstehen können ohne meine Gespräche mit D. und Y. Ihnen danke ich für ihre Schwestern- und Bruderschaft im Glauben.)

Das Gottesreich ist ein Reich für das Diesseits. Es entsteht und besteht in gesonderten, einfallenden Momenten. Es ist immer vorübergehend, doch unsere Bemühung als auf Gott ausgerichtete Person ist immer dauerhaft, manchmal auch dauerhaft vergeblich. Denn dieser Moment ist ein Geschenk Gottes, Anzeichen seiner Gegenwart in der Gegenwart.

Das Gottesreich im Diesseits wollen

Wie viele Male hat Jesus in seiner Lehre und seinen Sinnbildern auf die Diesseitigkeit, ja auf die Gegenwärtigkeit, die Aktualität des Gottesreiches hingewiesen: als ein Festmahl, das verspätet stattfindet und ein Warten darauf einfordert; als ein Quäntchen Sauerteig, das das Mehl zum Brot macht; als ein winziger Samen, der zu einem mächtigen Baum heranwächst.

Das Gottesreich hat eine Zukunftsperspektive: es öffnet das menschliche Streben auf eine nahe Zukunft hin, der Veränderung, Umkehr widerfahren ist. Doch wurzelt das Gottesreich im gegenwärtigen Diesseits: der Impuls zur Veränderung, die transformative Tat muss hier und jetzt getan werden, damit ihre Möglichkeiten sich verwirklichen können. Das Gottesreich fordert unsere Mitwirkung, unseren Eingriff für die Entstehung einer unabsehbaren Folge, einer befreienden Auswirkung. Die Konsequenzen dieser Tat liegen in greifbarer Nähe, in unmittelbarer Zukunft – und nicht in einem fernen Endpunkt menschlicher Entwicklung und Hoffnung.

Das Gottesreich ist also ein aktives Streben nach Veränderung, hinzu einem vorübergehenden, instabilen Zustand von (auch materiellen) Reichtum, Frieden und (nicht nur ausgleichender!) Gerechtigkeit.

In der Apokalypse nicht hoffen; jede Zeit als Endzeit verstehen und handeln

Ein ganz anderes Ding ist es mit den apokalyptischen und Endzeit-Erwartungen. Auch hier ist der Mensch Jesus ganz in seiner jüdischen Zeit und Umwelt zu verstehen: denke nur an das wundervolle Gleichnis und Geschehnis in Gerasa (Lk 8,26-39), wo Dämonen in Schweine einfahren. Damit nimmt Jesus bewusst die römische Besatzung in die Kritik, symbolisiert durch die Legio X Fretensis, die einen Eber als Wappentier führte.

Diese heutige Jetzt-Zeit ist eine durchaus apokalyptische: heute steht sogar der Untergang der Welt, wie Menschen sie kennen, in vielleicht nur allzu naher Zukunft bevor; dieser Untergang scheint immer unausweichlicher und rückt immer näher.

Nicht umsonst wimmelt es in unserer vor allem medialen Kultur von apokalyptischen Visionen und Versionen. Die Dystopie ist scheinbar die einzige, letzte Form, wie die Menschheit sich ihre Geschichte zu erzählen vermag.

Apokalypse meint ja im Ursprung eine Enthüllung: ein Aufdecken dessen, was verborgen und/oder unsichtbar ist. So versteht sich ja der Text von Johannes‘ Offenbarung nicht nur als eine Schilderung apokalyptischer, endzeitlicher Zustände und Momente, sondern auch als Darstellung der verborgenen Prinzipien und Mechanismen, Rollen und Perspektiven dieser Welt.

Das Christentum hat in seiner Entwicklung mit diesen beiden Heilserwartungen gearbeitet:

  • mit dem Versprechen eines Gottesreichs, das in naher Zukunft uns zutiefst betreffen, treffen und erfassen wird einerseits,
  • mit der Kritik der herrschenden Zustände, die in weiter Ferne, zu einer unbekannten Frist, zugunsten einzig der Glaubenden aufgelöst und grundlegend-umwälzend verändert werden andererseits.

Sie ist dabei einem weiteren Dualismus auf den Leim gegangen – neben jenem zwischen Körper und Geist: dem gegeneinander Ausspielen von diesseitiger Wirklichkeit und möglichem jenseitigen Erwartungshorizont.

In diesem dualistischen Spiel – das den Menschen zutiefst betrügt – scheint mir letztlich verloren gegangen, was Jesus und seinen Zeitgenossen sehr bewusst war: Veränderung braucht Einsatz im Hier und Jetzt, damit eine neue Form von Diesseits keimen kann.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Zeitumstände und Weltläufe kann es sich, darf es sich die Glaubende und die glaubende Gemeinschaft nicht mehr leisten, auf diese ferne Erlösung im Jenseits oder im Jüngsten Gericht zu hoffen.

Das Gottesreich muss von uns Glaubenden aller Religionen und Glaubensrichtungen in unsere Gegenwart hereingezerrt werden, mit Einsatz und Zuversicht.

Hoffen (ver-)hindert

Die Wirklichkeit verträgt keine Vertröstungen mehr: die Gegenwart ist von der Zukunftshoffnung zu befreien. Dieser eine meist flüchtige Moment des Gottesreichs, der sich durchaus wie eine finale Be- oder Aburteilung anfühlen kann, darf nicht länger mehr ein Objekt der Hoffnung sein. Hoffnung macht das Aufschieben von Handeln und Denken zu einem Anreiz. Dieser Moment aber, der alles umkehrt und verändert, dieser Moment ist möglich und in unseren Händen, in Reichweite und in unserem Auftrag.

Wer den Menschen heute noch vertröstet in eine Zeit nach seinem Leben oder auf eine Erlösung  „am Ende der Tage“, macht sich in meinen Augen einer Todsünde schuldig: der Trägheit.

Glaube ohne Konfession I – Sünde und Freiheit

(Alle diese Texte hätten nicht entstehen können ohne den Anstoss durch D. Alle diese Texte hätten nicht entstehen können ohne meine Gespräche mit D. und Y. Ihnen danke ich für ihre Schwestern- und Bruderschaft im Glauben.)

Ich suche keine Erlösung. Weder von meiner Vergangenheit noch von meiner Gegenwart, in der mir Gewissensentscheide ebenso wenig erspart bleiben mögen wie Sündenfälle.

Ich liebe meine Sünden. Ich bin stolz auf meine Sünden, stolz auf meine Sündhaftigkeit: sie ist ein Zeichen meiner Freiheit, einer mir von Gott verliehenen Freiheit.

Meine Fehlentscheidungen, meine wiederholten Verstösse gegen das, was ich längst als das Wahre und Gute, als den schmalen Pfad erkannt habe, der mich Gott ganz und gar gehorsam, nein: hörig machen würde, sind keine blinden Schläge gegen eine alles bestimmende, alles liebende Schöpfungsmacht. Diese Taten sind Anzeichen Seiner Gnade: Orden meines Menschseins; Orte meiner Menschenwürde.

Könnte ich nicht sündigen, fehl gehen, falsch handeln, wäre ich nichts mehr als ein Programm, ein Automat, – eine Maschine.

Dann wäre es mir vielleicht nicht einmal bewusst, wie sehr ich zu Ihrer Verherrlichung geschaffen worden bin.

Ich kann es nicht genug wiederholen: Ich brauche keine Erlösung und keinen Frieden. Beide sind mir jederzeit über meinen freien Willen, meine freie Willensentscheidung unmittelbar zugänglich: Ich kann mich jederzeit für das Gute entscheiden – oder für sein Gegenteil. Und ich kenne die Folgen dieser Entscheidung: die Folgen des Guten und die Folgen seines Gegenteils. (Und niemand wird mich dazu zwingen, es „böse“ oder „schlecht“ oder wie auch immer zu nennen, auch wenn ich sehr wohl weiss, wie sehr diese möglichen Begriffe auf das Bezeichnete zutreffen können.)

Die Erlösung – ebenso wie die Verdammung – ist mir in der Gegenwart zugänglich.

Der Frieden – ebenso wie der Kampf, der Streit – ist mir in der Gegenwart zugänglich.

Der Moment der Erlösung ist in meiner Macht.

Der Moment des Friedens ist kein ferner, immer ferner gerückter oder rückender Zeitpunkt, der allein in der Hand der Allmächtigen liegt. Genauso wie in Seinen Händen liegt er in meinen Händen.

Ich bin der Menschensohn, weil Sie mich der Gnade des freien Willens für würdig und mächtig erachtet hat.

Das ist mein Glück.

Aus diesem Glück drängt es mich, durch die enge Tür zu schlüpfen (Lk 13,25), bevor die Heilige sie verschliesst.

Denn Seine Gnade kennt keine Grenzen, genau wie Sein (kommendes?) Reich keine Hölle kennt ausser dieser Erde, dieser Gegenwart, dieser Existenz: Sie wird meinen Kampf – meinen Jihad – belohnen mit Ihrem Erbarmen, unter der einzigen Bedingung – die ein Zugeständnis, ein Eingeständnis Ihrer Schwäche (Ihrer Kraft aus Schwäche) ist -, dass ich diesen Kampf führe und geführt habe. Und ganz unabhängig davon, ob ich ihn gewonnen oder verloren habe; denn Letzteres ist weitaus wahrscheinlicher.

Boden für das Scheitern

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Auf den Felsen ist der Samen bei denen gefallen, die das Wort freudig aufnehmen, wenn sie es hören; aber sie haben keine Wurzeln: Eine Zeit lang glauben sie, doch in der Zeit der Prüfung werden sie abtrünnig. (Lk 8,13)

Scheitern ist gut.
Es bereitet uns vor.
Es bereitet in uns einen Boden vor.

Mit jedem Scheitern und mit jedem gescheiterten Versuch auf ein Gelingen schälen wir mehr vom Überfluss ab, auf den wir verzichten können.
Mit jedem Scheitern und mit jedem gescheiterten Versuch auf ein Gelingen sondern wir ab, was uns nicht ausmacht: Hautpartikel, Schorf und Dreck lösen sich von uns und fallen auf den felsigen Boden der Wirklichkeit.
Dieser Boden ist feucht von Schweiss und Tränen.
Das nicht Nötige, das nicht Nützende, das nicht Nährende fällt auf den felsigen Boden.

Es ist immer die Zeit der Prüfung.
Und das Scheitern ist immer.
Niemand kann anders als scheitern.
Das Scheitern ist unser Ding.
Nur wir Menschen können es so gut.
Und nur wir Menschen wollen es so ganz und gar nicht.

Was wir tun ohne Gott, ist Wind.
Was wir tun mit Gott, ist Wind.
Und die Zeit sondert aus.

Wenn ich zurückblicke, glaube ich manchmal diesen felsigen Boden zu sehen.
Es ist kein schöner Anblick.
Oder es ist ein Anblick, den ich nicht schön finde.
Aber wer bin ich, über Schön und Hässlich zu entscheiden?
Aber könnte ich vergleichen, wie er das letzte Mal, als ich hinter mich blickte, ausgesehen hat: könnte ich sehen, wie anders er aussieht jetzt.
Noch viel Fels glänzt im Licht, das ich unter den Scheffel gestellt habe.
Darin kann sich niemand verbeissen ausser ich.
Aber an einigen Stellen ist der Fels nicht mehr nackt.
Etwas bedeckt ihn: etwas von mir.
Und vielleicht ist es eine optische Täuschung, aber ich habe das Gefühl, die bekleideten Stellen schimmern grün.
Seh ich da vielleicht sogar Schachtelhalme im göttlichen Atemwind schwanken?

Darf ich darauf nicht stolz sein?
Meinem Fels wächst eine Humus-Schicht!
Ich bin wie eine Ruine, die nicht mehr gepflegt wird, die von keinem Denkmalschutz umhegt und geschützt wird.
Ich bin der Boden des Scheiterns.
Ich bin auch jener, der über ihn geht.
Mir wächst ein Kleid, das nicht Fels ist.

Und jede neue Tat oder Unterlassung kann den Fels wieder freilegen.
Ich werde leichter, wenn ich scheitere.
Der Grund, über den ich schreite, senkt sich tiefer ein in die Geheimnisse des Lebens und der Schöpfung.
Spüre ich etwa an meinen Knöcheln schon das Gras und steigen nicht schon Insekten und Schmetterlinge in die Luft um meine Füsse?
Der Grund, über den ich schreite, nimmt bereitwillig an, was ich absondere.

Es ist immer Zeit der Prüfung.
Ich entscheide über Richtungen.
Ich entscheide über Verzögerungen.
Zeit der Prüfung ist Zeit des Scheiterns.

Und das Scheitern ist gut.
Es gibt nichts Besseres als dieses gute Scheitern.
Selbst in Krankheit, Armut und Verlassenheit
habe ich unter mir diesen reichen Teppich,
auf den Tropfen fallen, ob Schweiss oder Tränen,
ihn durchfeuchten und befruchten.

Und daraus und darauf wächst etwas,
das einen andern Glanz hat als der Fels,
das einer grossen Schleppe gleich
mich einkleiden wird am jüngsten Tag:
die Steppe meines Scheiterns,
über die dein Atem fährt, Gott.