Direkt ins Herz. Teil 1

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(Esau verkauft sein Erstgeburtsrecht; Giovanni Assereto, ca. 1645)

Im Beitrag „Wirkliche Geschichten“ habe ich über den Zusammenhang von biblischen oder koranischen Geschichten und den Lebenswelten, besser: den Lebenswirklichkeiten der Menschen, insbesondere der Kinder, spekuliert.

Damals ging es mir darum, die abwehrende Haltung vieler Menschen gegenüber Glaubens- und Lebensgeschichten aus Bibel und Koran zu hinterfragen. Darum, dass es „eben nicht nur eine Geschichte“ ist, sondern tief an unsere Erfahrungen rührt und in unsere Weltanschauung leuchtet.

Ich möchte hier nun zwei Geschichten kurz vorstellen, die sowohl mich als die Kinder meistens direkt in das Herz treffen. Und natürlich anführen, weshalb sie das tun. Und warum das wichtig ist.

 Jakob und Esau – Brüder und Rivalen 

Die Geschichte aus Gen 25, 19-26 erzählt von zwei ungleichen Zwillingen. Esau ist der Sohn seines Vaters Isaak, ein Mann ohne Wenn und Aber. Jakob ist der Sohn seiner Mutter Rebekka, ein Muttersöhnchen. (Ich übertreibe, aber nur wenig.)

In der Bibel werden ihre Konflikte als Kinder angedeutet (Gen 25, 37-43), sie brechen erst recht aus, als es um das Erbe ihres Vaters geht (Gen 27, 1-45).

In meinem Unterricht benutze ich die Geschichte nach Laubi[2], besonders den dort geschilderte Konflikt vor dem berühmten „Linsengericht“.

Diese Rivalität zwischen fast gleichaltrigen Geschwistern (ob Mädchen oder Jungen) trifft die meisten Kinder enorm. Sie können sowohl die Rivalität zwischen den beiden Brüdern als auch die ungerechte bzw. ungleiche Behandlung vonseiten der Eltern sofort nachvollziehen.

Manchmal sitzt auch ein Zwilling oder ein Zwillingspaar im Kreis. Ihre eigene Erfahrung, sofern sie diese zu teilen bereit sind, kann die Geschichte von Jakob und Esau noch lebhafter, noch lebensnaher machen. So sorgt oft nur schon die Erwähnung, dass der eine oder die eine der beiden 2 Minuten vor dem andern geboren worden ist, für eine zusätzliche Glaubwürdigkeit der erzählten Geschichte.

Die Erzählung rund um das Linsengericht, die zwar für die Ungerechtigkeit der Behandlung von Esau essentiell ist, wird angesichts heutiger Lebenswelten meist nicht verstanden. Natürlich lässt sie sich erklären und darlegen, aber sie wirkt niemals so unmittelbar wie die Schilderung der Beziehung zwischen den beiden.

Das Brüderpaar Esau und Jakob kann also sehr schön versinnbildlichen, wie eng und nah die Bibel auch heute noch an den Lebenswelten von Kindern oder eben Menschen erzählt.

Dagegen fällt der rechtliche, gesellschaftlich-regelnde Teil des Betrugs um das Erstgeburtsrecht weitaus schwerer zu vermitteln. Hier erscheint es zudem als unwahrscheinlich, dass ein Vater seine beiden eigenen Söhne nicht auseinanderzuhalten vermag, obwohl er alt und blind ist.

Während also die eigentliche Thematik geschwisterlicher Rivalität um die Elternliebe oder um den Vorrang auch heutige Lebensbefindlichkeiten trifft und anspricht, kann die Handlung rund um den väterlichen Segen keine ähnliche Glaubwürdigkeit beanspruchen.

Dass diese Geschichte eines Betrugs aber dennoch erzählt zu werden hat, steht ausser Frage.

Esau aufwerten!  Ein persönliche Auslegung

Wie mit vielen Geschichten in der Bibel, insbesondere im alten Testament, fühle ich mich zu den Bösen, den vermeintlich Schlechten und auch den Frevlern hingezogen. Nicht umsonst ist mein Lieblingskönig im Alten Testament nicht Salomo, sondern Saul.

Ich sehe es auch christlicherweise als meine Aufgabe, die „Liebe zum Feind“ immer wieder fühlbar zu machen: dass jemand „Böses“ durchaus auch eine Vorgeschichte und damit vielleicht gar „Gründe“ für sein So-Böse-Sein haben könnte, dass ihr oder ihm das Leben einfach zur Hölle geworden sein kann.

Vor diesem Hintergrund geht es mir in dieser Geschichte darum, Esau als positive, ja geradezu kindlich-unschuldige Person darzustellen. Auch Kinder denken selten über den Moment hinaus. Genau wie Esau, als er sich um das „Erstgeburtsrecht“ foutiert – solange er nur was Warmes zu essen kriegt.[3] (Ein ähnliches Phänomen ist das selbst bei vielen meiner 4. Klässlern noch nicht erloschene „magische Denken“.)

Gleichzeitig kann Esau durchaus noch einen weiteren Unschuldsfaktor zulegen, wenn daran gedacht wird, dass die Jäger und Sammler der Steinzeit – wie jüngst zum Beispiel bei Hariri zu lesen (Eine kurze Geschichte der Menschheit) – durchaus glücklich und satt waren. Und darüber hinaus ein stressfreieres, gesünderes und vermutlich damit erfüllteres Leben führten.

Im Gegensatz dazu lässt sich Jakob zwar weiterhin als der Überlegenere, der Schlauere, Vorbedachtere darstellen. Zudem – Achtung, machistische Vorurteile oder Deutungsmuster einer patriarchalen Gesellschaft? – ist ja wiederum eine Frau für die Hinterlist eines Mannes verantwortlich! Und mythologisch steht Jakob dann auch für den Übergang von der eher nomadischen Jägerkultur in die eher sesshafte Kultur der Jungsteinzeit.

Eine treffende Geschichte 

Zusammenfassend liesse sich etwa Folgendes sagen über diese Geschichte:

  • Sie findet in der Lebenswelt der Kinder nicht nur Entsprechungen, die Lebenswelt der Kinder spiegelt sich in der Geschichte von geschwisterlicher Rivalität und Zusammenleben.

  • Die Geschichte eröffnet zudem den Dialog über Persönlichkeit (wer bin ich?),  Vorurteile und Prägung (was macht mich aus?); eine Diskussion, die in unserer Zeit der Frühleistung und der Abklärung und Bestimmung von Verhaltensmustern bzw. Verhaltensauffälligkeiten wichtig bleiben wird.

  • Und wie häufig mit Bibelgeschichten ist sie eine Einladung an die Kinder und mich, darüber nachzudenken, was anders geschehen könnte, was zu ändern wäre – im Verhalten der Protagonisten und – übertragen auf unsere Situationen – in unserem eigenen Verhalten (gegenüber unseren Mitmenschen, unseren Nächsten).

Und die Religion in all dem? 

Und wie immer stellt sich die logische Frage: Was hat das (noch) mit Religion zu tun?

Für mich als Religionslehrer sind die biblischen und koranischen Geschichten ein Bild von Menschenwelten, ein Abbild von Menschenerfahrung. Ein unglaublicher Schatz an Erfahrung sogar: von Leid und tief reichendem Schmerz über Freud, von Niederlagen bis zu grossen Erfolgen. Sie zeigen auf, wie Menschen handeln (können).

Es wäre in meinen Augen sträflich, dieses Potenzial an Situationen und menschlicher Erfahrung nicht zu nutzen als Erzähl- und Reflexions-Stoff.

Und ich kann oder muss mir eingestehen, dass mich der „Glaubens-Inhalt“, das „von Gott angeleitet oder gelenkt sein“, das „auf Gott verwiesen sein“ in all diesen Geschichten nicht annähernd so stark interessiert wie dieser menschliche Erfahrungsreichtum.

Und ich erkenne, dass ich in vielen Dingen ein ebenso säkularisierter Mensch bin wie alle um mich her:

  • Religion ist eine der möglichen Wurzeln für ethisches Handeln,

  • Glauben hilft gewiss beim guten Handeln (vorausgesetzt, du glaubst an die Notwendigkeit des Guten in der Welt),

  • aber in den Geschichten aus den Religionen finden wir Hinweise darauf, was im Leben gelingt und was missglückt (gelingen oder missglücken kann), mit und auch ohne den Glauben an Gott oder Allah.

 

 


[1]

Laubi, Werner: Geschichten zur Bibel. Abraham, Jakob, Josef, Zürich/Einsiedeln/Köln 1985 (1), S. 50-54.

[2]

Laubi, Werner: Geschichten zur Bibel. Abraham, Jakob, Josef, Zürich/Einsiedeln/Köln 1985 (1), S. 50-54.

[3]

So leben die Schüler*innen häufig so stark im Moment, dass sie die herrschende gesellschaftliche oder schulische Ordnung vergessen oder verlassen. Ihr Erstaunen ist oft gross, wenn sie trotz mehrfacher Vorwarnung mit einer „logischen Folge“ leben müssen…

 Ein unmögliches Wort?

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Das Wort Gott kommt mir nur schwer über die Lippen. Mit ihm verbinden sich zu viele Vorstellungen, die ich nicht teile. Kurz: Ein unmögliches Wort für eine mögliche Wirklichkeit.

So formuliert es Lorenz Marti in seinem Buch „Türen auf! Spiritualität für freie Geister„. Weiter meint er, wir sollten dem Wort eine Pause geben, die Lücke und Leere des „Unbedingten“ und „Unverfügbaren“ nicht dringend benennen wollen.

Vom Islam lernen  

In meiner täglichen Auseinandersetzung im Rahmen eines leider immer noch mehrheitlich christlich gefärbten Religionsunterrichts sind jene Gespräche und Diskussionen mir die wichtigsten, die ich mit muslimischen Kindern führe. Das hat zwei Gründe:

1. Die meisten muslimischen Schüler*innen leben in Haushalten, – soweit meine Erfahrung – in denen religiöse Fundamente noch gepflegt werden. Sei es das Gebet oder schlicht die Rede von Gott. Begriffe wie „halal“ und „haram“ sind nicht (oder nur in Ansätzen) wie bei „uns Christen“ Begriffe wie „heilig“ oder „sündig“ profaniert, säkularisiert. (Im Gegensatz dazu leben die meisten christlichen Schüler*innen in agnostischem und säkularisierten Umfeld. Einem Umfeld, das alles Religiöse einerseits kritisch-empirisch beäugt und andererseits die wenigen religiösen Traditionen, die „uns Christen“ noch bleiben, säkular umdeuten.[2])

2. Die muslimischen Schüler*innen wissen sehr gut, dass Gott eine absolut unverfügbare Grösse ist. Es ist ein wiederkehrendes Phänomen im Unterricht, dass wir die Vielfalt Gottes und seine ausgesprochene Ambivalenz thematisieren (müssen).

Damit wird klar, dass die muslimischen Schüler*innen ein beträchtliches religiöses Potenzial mitbringen. Das zu fördern und befeuern mir in meinem Unterricht sicherlich ein zentrales Anliegen ist.

Gott als Frage 

An anderer Stelle habe ich schon einmal davon gesprochen, dass eine Rede von Gott immer präzise und ausführlich sein muss. Ja, zusätzlich dazu vielleicht sogar noch notwendigerweise ambivalent.

Gerade deshalb glaube ich, sollten wir Religionsfachpersonen nicht aufhören, Gott als Frage in diese vielfach geistverarmte Welt zu stellen.

Wir befinden uns in einem Prozess, wo die westliche europäische Gesellschaft fundamentale Werte wie Unverfügbarkeit und Spiritualität, aber auch Traditionen wie der Sankt-Nikolaus[3] unter Materialismus und blindem Empirismus begräbt.

Es ist Lorenz Marti hoch anzurechnen, dass er seine Scheu vor dem Wort Gott zugibt, seine Scheu überhaupt, von religiösen Dingen zu sprechen.

Und ich merke gerade, dass ich Gefahr laufe, wie ein Kreationist, ein rechtsgerichteter Abendlandfaschist zu klingen.

Doch wer nicht über Gott redet, sich nicht Fragen zu Unverfügbarkeit und Ambivalenz stellt, wird – in meinen Augen – eher zu einer Weltsicht in schwarz und weiss tendieren. Und eine solche Weltsicht verschärft in meinen Augen die Probleme und Konflikte eher, als dass sie Lösungsansätze oder nur schon Lösungsbereitschaft ermöglichen kann.

Von Gott reden 

Natürlich ist das Reden von Gott kein Allheilmittel gegen die Krankheiten der Menschheit. Doch das Reden von Gott – von dieser Pause, diesem „Namen“ (ha-schem), diesem Ewigen, dieser Leerstelle, dieser Lücke – vermittelt den Menschen die fruchtbare Erkenntnis von Ambivalenz, von Abgrund.

Und wieder möchte ich den Islam „bemühen“: Wie wundervoll sind die 99 Namen Gottes für eine solche Übung in Unverfügbarkeit, mit ihrer Spannweite vom „Verhinderer“ bis zum „König“! (So bedenklich ihre Vermenschlichung immer auch sein mag.)

Das einfachste Beispiel für so eine Übung in Unverfügbarkeit ist das Nachdenken darüber, ob Gott jetzt gütig oder mächtig sei. Jeder, der diesen beiden Gedankensträngen folgt, wird verwirrt, weil das eine das andere logisch auszuschliessen scheint.

Dem ist aber nicht so: Gott umfasst mehr als nur diese beiden logisch-rationalen Gedankenstränge.

Genauso wie Gott kein „alter Mann im Himmel“ ist: Wer nicht über Gott redet, wird immer im kindlichen Glauben stehen bleiben, sein Konzept von Unverfügbarkeit wird immer kindlich bleiben. Sie oder er werden immer mit dem Unverfügbaren handeln wollen. Doch mit Unverfügbarem handelt man nicht.

Je mehr ich mich also darum bemühe, von Gott zu reden, umso mehr kann ich dazu beitragen, dass die Wahrnehmung von Gott komplexer wird und bleibt, und dass die Gedankenwelt meiner Gesprächspartner*innen mehr aushalten muss als nur ein weltliches „Entweder-Oder“.

Anders gesagt: Gerade das Reden von und über Gott ermöglicht das Training der „religiösen Muskeln“, die wiederum Komplexität und Ambiguität und Ambivalenz unserer gesellschaftlichen Realität ertragen helfen.  Lasst uns also gerade und „jetzt erst recht“ von Gott reden, das Wort über unsere Lippen zu bringen wagen.

 


[1]

Ein gutes Beispiel dafür sind die beiden Weihnachtssingen, die ich letzten Monat erlebt habe: keines der gesungenen Lieder hatte noch einen christlichen Hintergrund, aber sehr viel „Lichterschmalz“ und „Ethik-Kitsch“. Aber dazu vielleicht nächste Weihnachten einmal ein eigener Blog…

[2]

Ein gutes Beispiel dafür sind die beiden Weihnachtssingen, die ich letzten Monat erlebt habe: keines der gesungenen Lieder hatte noch einen christlichen Hintergrund, aber sehr viel „Lichterschmalz“ und „Ethik-Kitsch“. Aber dazu vielleicht nächste Weihnachten einmal ein eigener Blog…

[3]

Der Sankt-Nikolaus ist eben nicht der Weihnachtsmann, sondern ein Bischof mit seinen Insignien – und stammt zudem noch aus der Türkei!

Der Begriff der Schuld. Teil 1

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Sündigen bedeutet mehr, als gegen irgendwelche von Menschen vereinbarten Regeln zu verstossen. Die Sünde wendet sich frei und bewusst gegen die Liebe Gottes und ignoriert ihn. Sünde ist letztlich die „bis zur Verachtung Gottes gesteigerte Selbstliebe“ (Augustinus), und im letzten Extremfall sagt das sündige Geschöpf: „Ich will sein wie Gott“ (Gen 3,5). (Youcat, #315)

In meiner eigenen Biografie spielt Schuld eine grosse Rolle.[2] Das Bewusstsein von Schuld – ob wirklich oder eingebildet (Schuldgefühle) – lässt sich auf den allzu oft gehörten Spruch meiner Eltern zurückführen: „Selber Schuld“.

Gleichzeitig würde ich sagen, das voreilige „auf-sich-nehmen-von-Schuld“ gehört ebenfalls in meine zentralen Verhaltensmuster. Und das, obwohl ich längst weiss, dass du – wie ich kürzlich irgendwo gehört oder gelesen habe – mit dem Eingeständnis von Schuld (berechtigt oder nicht) den andern / dem andern Macht über dich verleihst. Wer Schuld eingesteht, begibt sich in Abhängigkeit.

Und das ist vermutlich einer der Gründe, weshalb wir so ungern Schuld eingestehen. Uns so ungern bei andern „aus tiefem Herzen“ entschuldigen.

Natürlich ist das Nachdenken über Schuld nie zu Ende, doch möchte ich hier einige Gedanken notieren, die mir auch für meine religionspädagogische Tätigkeit wichtig sind.

3 Geschichten 

In der Bibel gibt es viele erschütternde Geschichten von Schuld. Und was das Schuldigsein mit dem Menschen macht. Ich will hier zum Einstieg drei Geschichten diskutieren, die mir selbst sehr wichtig sind. Die ich selbst auch immer unbedingt in meinen Religionsunterricht einbauen werde.

Böser Geist 

So überkommt Saul in 1. Sam 16 der „böse Geist Gottes“. Es ist für mich – ähnlich wie die Geschichte von der „Legion von Dämonen“ in Markus – eine grundlegende Erzählung davon, wie Schuld wirken kann.

Wenn ich der Gerechtigkeit halber auch ganz deutlich anfügen muss, dass ich den Grund für diese „Heimsuchung“ nicht verstehe und nicht billige: Gott bestraft Saul für seine Milde gegenüber einem eroberten Volk. Das kann in meinen Augen nicht der Wunsch und die Absicht Gottes sein. Aber das wäre sicher eine Reflexion wert: zum Thema „Institutionen und Traditionen gegen ethische Erwägungen“.

Der Schuld tragende Mensch wird also depressiv, seine Seele, sein Herz verdüstert sich. Schuld tragen kann sogar bewirken, dass der davon betroffene Mensch alle Handlungsfähigkeit – vielleicht gar alle Menschlichkeit – verliert.

Schuld durch Begehren 

Die zweite Geschichte stammt aus dem zweiten Samuelbuch. Es ist die Geschichte von David, der Batseba nicht nur verführt, sondern dafür sogar ihren Mann bewusst und absichtlich in den Tod führt (2. Sam 11).

In der Folge dieser Untat erklärt der Prophet Natan David die Konsequenzen seiner Tat: er selbst wird nicht sterben, ihm selbst ist schon vergeben. Als Strafe jedoch wird sein erstgeborener Sohn von Batseba sterben müssen.

David versucht durch Reue und Fasten dieses Unglück zu verhindern. Doch das Kind stirbt trotz aller Bitten.

David richtet sich wieder auf von diesem Unglücksschlag und zeugt mit Batseba ein zweites Kind, den zukünftigen König Salomo.

Der Mensch kann von Schuld heilen 

Den prägendsten Eindruck für mein Verständnis von Schuld hat mir die Lektüre der Geschichte des „gelähmten Mannes“ vermittelt. Dieser wird von seinen Freunden durch das abgedeckte Dach mitten in die Versammlung hinabgelassen. Die Pharisäer kritisierten die Heilungsabsicht Jesu: nur Gott selbst könne Sünden vergeben.

Kurzer Zwischenruf: biblisch gesehen ist Krankheit, Armut und andere Anfechtungen immer Konsequenz von falschem, schuldigem Verhalten der Menschen. Wer also krank ist, der ist „selber Schuld“. Dies ist übrigens – wie das Susan Sontag erschütternd geschildert und analysiert hat – auch heute noch bei gewissen Krankheiten der Fall, so bei Krebs. Die von Krebs befallenen Menschen sind – durch psychische Schwäche, falsches gesundheitliches Verhalten, Grübeleien und Depressionen, etc. – selbst für ihre Krankheit verantwortlich…

Jesus jedoch erwidert auf diese Kritik – und hier zitiere ich bewusst die Bibel in gerechter Sprache! -:

Damit ihr wisst, dass Menschen Vollmacht haben, auf dieser Erde Sünden zu vergeben – so sprach er zur gelähmten Person: Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Trage und geh in dein Haus! (Lk 5,24)

Ohne über die mutige Übersetzung dieses sonst ganz auf Jesu Wirkmacht konzentrierten Wunders genauer einzugehen,[3] hat mich dieses Beispiel Jesu geradezu befreit. (Für die andere, traditionellere Lesart siehe in der Einheitsübersetzung: Lk 5,17-26.)

Denn es sagt uns: Du selbst kannst vergeben. Und im Vergeben, Verzeihen den anderen, der Schuld trägt, von dieser Schuld befreien.

Erste Bilanz 

Ich selbst glaube, noch nie eine solche heilende Erfahrung der Schuldvergebung gemacht zu haben. Gewiss wurde mir oft verziehen, musste mir oft vergeben werden, – selbst für nur eingebildete Schuld (Schuldgefühle). Doch richtig frei wurde ich dadurch nicht.

Ich denke, das liegt unter anderem auch daran, dass ich selbst schwer vergebe und verzeihe, nachtragend bin.

Es gibt immer wieder Tage, an denen ich mir meiner Schuldgeschichte(n) bewusst werde. Das sind keine schönen Tage, sie enden in Prokrastination und Selbstbestrafung. Dennoch glaube ich an die Geste der Reue, an die wirklich gemeinte Geste der Busse, an das Schuldeingeständnis als erlösender Faktor – für den Schuldigen mehr noch als für den Geschädigten.

Doch lässt sich Schuld mechanistisch, gesetzlich „abtragen“, „ableisten“, um von ihr befreit zu werden, – um den Geschädigten zu entschädigen, um sich zu ent-schuld-igen?

Im nächsten Teil dieser Blogreihe möchte ich daher auf die Geschädigten blicken und darüber nachdenken, wo sie stehen in der Gleichung Schuldiger-Geschädigter – und wie wir theologisch und spirituell auf sie blicken.  


[2]

Link auf alle mit dem Begriff „Schuld“ versehene Blogeinträge: https://herzbeschneidungen.wordpress.com/tag/sunde/

[3]

Die Übersetzer berufen sich auf die hebräische Tradition, dass der Begriff „Menschensohn“ nicht eigentlich ein „Hoheitstitel Christi“ ist, „sondern als Ausdruck, der Mensch, ob Mann oder Frau, als Gegenüber Gottes anspricht.“ BigS, S. 1767.