Glaubensworte: Dankbarkeit

Es erstaunt nicht, dass das Wort „Dank“ oder „Danken“ vom Verb „denken“ abstammt. Das heisst, im „Gedenken“ und im „Nachdenken“ liegt ein Grund für eine Lebenshaltung, die sich aufgehoben weiss in der Besinnung. Dieser Lebenshaltung will ich hier kurz Raum geben. (Mit einem besonderen Dank an Y.F. für das „Wozu statt Warum“!)

(Danke an John Hain für das Bild.)

Die koranische Perspektive

Vom Koran lernen wir, dass der Mensch, wenn es ihm gut geht, diesen Wohl-Stand stets sich selbst zurechnet; der Mensch rechnet sich also sein eigenes persönliches Glück als eigenes Verdienst an. Wenn es dem Menschen aber schlecht oder übel (er-) geht, sucht sich der Mensch äussere Gründe, hadert mit seinem „Schicksal“ und will von Gott eine Antwort, wieso ihm oder ihr das passiert. Die Frage in der Anfechtung heisst: „Wieso passiert das (ausgerechnet) mir? Wieso nicht dieser da, diesem anderen?“

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Diese Haltung in der Anfechtung hat in meinen Augen im Koran ihren Grund in der Frage nach den Prioritäten eines Menschen: Will er oder sie „die Nutzniessung“ bereits hier im Diesseits oder strebt sie oder er eine Belohnung im Jenseits an?

Wenn einer diesseitigen Lohn haben möchte, geben wir ihm etwas vom Diesseits. Und wen einer jenseitigen Lohn haben möchte, geben wir ihm etwas vom Jenseits.

Sure 3, 15 Paret

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Der Koran mahnt den Menschen immer wieder daran, nachzudenken, den eigenen Verstand zu gebrauchen:

Denkt ihr denn nicht nach?

Sure 6, 50 Paret

Wer so den eigenen Verstand gebraucht, die und der findet im Nachdenken auch die Dankbarkeit.

Die wahren Gläubigen, wie ich den Koran verstehe und lese, sind demnach jene, die an der ausgleichenden Gerechtigkeit Gottes zweifeln:

Und so haben wir, indem wir die Glücksgüter ungleich verteilten, die einen den andern zur Versuchung werden lassen, sodass sie sagten: „Hat denn Gott diesen da aus unserer Gemeinschaft besondere Gnade erwiesen und damit uns anderen gegenüber bevorzugt?“ Weiss nicht Gott am besten Bescheid über die, die dankbar sind?

Sure 6, 53 Paret

Zusammenfassend liesse sich sagen, der Hochmut oder die Sünde an sich selbst (die eine Sünde gegen Gottes Auftrag an die Menschen ist) ist es, das Gute dir selbst zuzurechnen, aber das Böse oder Schlechte als etwas zu deuten, das von aussen auf dich fällt.

Das Nachdenken über das, was dir geschieht und wozu es dir geschieht (nicht warum!), dieses Nachdenken kann dich zur Dankbarkeit führen, die eine Glaubens-, aber vor allem eine Lebenshaltung ist, gerade und vor allem in schwierigen Lebenssituationen.

Die jesuanische Perspektive

Seit meiner frühen Kindheit, als ich folgenden Text zum ersten Mal gehört und bewusst wahrgenommen habe, begleitet mich seine Zusage:

Seht euch die Raben an! Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie haben weder Vorratskammern noch Scheunen, und Gott ernährt sie doch. Und ihr seid och viel mehr Wert als die Vögel!

Lk 12, 24 NGÜ

Seht euch die Lilien an! Sie wachsen ohne sich abzumühen und ohne zu spinnen und zu weben. Und doch sage ich euch: Sogar Salomo war nicht so schön gekleidet wie eine von ihnen.

Lk 12, 27 NGÜ

Aus dieser Zusage stammt mein Vertrauen auf das Gelingen meines Lebens-Weges, und zwar nicht auf das weltliche oder materielle Gelingen meines Lebens, sondern auf das Gelingen vor dem Horizont Seiner Erwartungen und Seiner Zuversicht und Seiner Schöpfungskraft. Die Zusage der Heiligen meint für mich, dass ich mehr bin als nur die weltliche, materielle Sorge, und die Nutzniessung weltlicher Güter mich nicht im Sinne der Heiligen vollkommen(er) machen.

Aber bleiben wir noch bei Lukas! Im für mich zentralen 16. Kapitel über das weltliche Leben und Streben, das Leben im Diesseits, dreht sich alles um den Mammon, den ich hier der Einfachheit halber als den Reichtum an weltlichen Gütern deute.

In diesem Kapitel erzählt Jesus die Geschichte vom reichen Mann und vom armen Lazarus (Lk 16, 19-31). Ich will mich hier gar nicht auf die Diskussion einlassen, ob in dieser Geschichte Himmel und Hölle reale Orte sind; ich selbst verstehe die beiden Orte als Bilder für menschlichen Glück und Leiden.

Auf die Bitte des reichen Mannes um ein wenig (tröstendes) Wasser antwortet Abraham:

Mein Sohn, denke daran, dass du zu deinen Lebzeiten deinen Anteil an Gutem bekommen hast und ass andererseits Lazarus nur Schlechtes empfing. Jetzt wird er dafür hier (sc. im Himmel) getröstet und du hast zu leiden.

Lk 16, 25 NGÜ, Kursiv- und Klammersetzung von mir

(Beachte, wie Abraham auch vom Nachdenken spricht, wenn er sagt: „Denke daran…“ – Im Münchener Testament ist es noch expliziter: „gedenke!“)

Ohne eine ausführliche Deutung dieses Gleichnisses versuchen zu wollen, will ich gleich wieder auf das Thema der Dankbarkeit zurückkommen.

Meine eigene Perspektive

Das Wissen um die Unsicherheit irdischen, materiellen Glücks einerseits, und das Bewusstsein einer Anrufung, mehr zu sein als nur eine begehrende, nutzniessende, ausgestreckte Hand andererseits – diese beiden Impulse befeuern meine eigene Dankbarkeit.

An dieser Form meiner Dankbarkeit ist mir wichtig, dass sie mich aus einem (Gott-) Vertrauen und einer Zuversicht heraus trägt, dass „alles gut ist, so, wie es ist“, dass ein Klagen über etwas Materielles, das mir fehlt (wie ein weiterer Sessel für mein Wohnzimmer), oder über etwas Immaterielles, das mir fehlt (wie die Anerkennung als Lyriker), mich als Mensch nicht befördert.

Anders gesagt: Ich kann nur wachsen, indem ich, was mir passiert, annehme, anzunehmen versuche.

Das heisst auch, dass ich das Leiden in meiner Dankbarkeit mitdenke, dass ich das Leiden in meine Dankbarkeit integriere.

Und ganz klar will ich hier sagen: Nein, ich bin nicht dankbar für das Leiden, für die Schicksalsschläge, das Schlechte, die Verletzungen und Krankheiten! Aber ich weiss, dass das Leiden eine Herausforderung ist für meine menschliche Würde, für meine göttliche Seele. Dieser Herausforderung will ich mich stellen.

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Noch bin ich nicht so weit in meinem Glauben – bzw. in meiner Glaubensbereitschaft -, dass ich koranisch und biblisch sagen würde, dieses irdische Leiden ist eine Prüfung, ein Test meines Glaubens, meiner Glaubenstreue, wie uns das Petrus in seinem ersten Brief weismachen will, wie das auch im oben zitierten Korantext angedeutet wird:

Genauso, wie das vergängliche Gold im Feuer des Schmelzofens gereinigt wird, muss auch euer Glaube, der ja unvergleichlich viel wertvoller ist, auf seine Echtheit überprüft werden.

1 Petr 1, 7 NGÜ

Und genau so wenig bin ich bereit, mich auf eine jenseitige Perspektive einzustellen!

In meinen Augen geht es darum, dass du als Mensch dich auf das ausrichtest, was das Beste in dir ist (von Gott als das Beste in dir angelegt, geschaffen), um es in diesem irdischen Leben zum Vorschein (zum Scheinen) zu bringen.

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Zusammenfassend liesse sich sagen, Dankbarkeit als Grundhaltung oder Grundeinstellung heisst,

  • dass du jederzeit dich darauf besinnen kannst, wie wertvoll und würdevoll du geschaffen und gemeint bist;
  • dass du dich auf das Gute, was du ohne Zweifel erlebt hast, besinnen und darin Kraft finden kannst;
  • dass du in der ärgsten Anfechtung dich in einer höheren Bewegung, auf einer transzendenten Ebene als mehr, als würdevoll-bedeutender verstehst als nur dein irdisches Dasein, deine irdische Form, diese deine letztlich triviale, materielle Existenz.

So schwer das im Leiden, ob nun Armut oder Krankheit, Krieg oder Vertreibung, Verlust des ungeborenen Kindes oder Vergewaltigung, fallen mag; so höhnisch es in deinen Ohren klingt, klingen muss.

Nichts aus sich gemacht – Teil 1

Wann ist ein Leben ein Erfolg?

Ist ein menschliches Leben an Bedingungen geknüpft? Ist die eigene Geburt eine Verpflichtung? Anders formuliert: Sind die damit gegebenen oder später erworbenen Anlage(n) und Fähigkeiten oder Begabungen verpflichtende Bedingungen für ein weltlich gelungenes Leben? Und nochmals anders gefragt: Hat dein Lebenserfolg mit deinem weltlichen Erfolg zu tun? Bist du nur „vollkommen“ oder „erfolgreich“, wenn du dein „ganzes Potenzial abgerufen“ hast? –  Diesen Fragen möchte ich hier in einem zweiteiligen Artikel nachgehen. Im ersten Teil steht der persönliche Bezug im Vordergrund: eine erste Verortung des Themenkomplexes. Im zweiten Teil möchte ich diese Fragestellung theologisch und philosophisch vertiefen.

(Dank an Pfüderi für das Bild.)

Weltlicher oder beruflicher Erfolg als Produkt von Einsatz, Arbeit und Fleiss

In diesem Winter habe ich immer wieder Skirennen geschaut. Dabei habe ich gestaunt, wie klein die Zeitabstände zwischen Sieger und 12. oder 20. Platzierten sind: ein, zwei Sekunden. Ein Sieger, der mit 50 oder 70 Hundertstel vorne liegt, hat eine Ewigkeit zwischen sich und die Zweitplatzierte gelegt. Wie wenig trennt da die Guten von den Mittelmässigen!

Vor diesem Hintergrund hat mich auch die körperliche und geistige Bereitschaft erstaunt: Wie konzentriert und zielgerichtet musst du sein, um (wie im Falle eines Marco Odermatt oder einer Sofia Brignone) jedes Mal dein „bestes Resultat “ oder deine „beste Leistung abzurufen“!

Und gleichzeitig war ich auch jedes Mal wieder froh, nicht in einem Berufsfeld arbeiten zu müssen, wo Leistung und Einsatz der einzige Massstab für Erfolg sind.

An einem Dokumentarfilm über Marco Odermatt ist mir auch (nochmals oder erneut) klar geworden, dass dieser Erfolg kein Zufall oder Schicksal ist. Dieser Erfolg ist das Resultat einer beharrlichen, manchmal stumpfsinnigen Arbeit: vom Muskeltraining über das Konditionstraining und von der eigentlichen Rennvorbereitung bis hin zu stupiden Autogrammstunden für irgendwelche idiotischen kapitalistischen Sponsoren, die dich finanzieren und unterstützen.

Das eigene Leben: ein Misserfolg?

Angesichts solcher Leistung und solchen Erfolgs kann dir dein eigenes Leben durchaus unscheinbar, unerfüllt und mittelmässig erscheinen. Ja, es kann dir dabei vorkommen, du habest nichts aus dir gemacht: Mit all deinen Anlagen und Vorsätzen und Ansprüchen hast du doch nur etwas Mittelmässiges, Stockend-Steckenbleibendes vollbracht!

Bis vor etwa 5 Jahren konnte mich der Gedanke oder das Reden von literarischen Erfolgen im deutschsprachigen Raum regelrecht in Rage bringen. Besonders von Erfolgen jüngerer Autor*innen. Dass diese Erfolg hatten und ich nicht, dass jene entdeckt und gefördert wurden und ich nicht, schien mir eine Art Sarkasmus meines Lebens. Auch ich hätte mir so sehr die Anerkennung, den „Ruhm“ gewünscht, den sie genossen.

Dies umso mehr, als ich von mir mit Recht behaupten zu glauben durfte, auch ich sei ein „Begabter“, ein „kleines Genie“. Ich wusste um meine Fähigkeiten: Wie leicht mir schriftlicher und mündlicher Ausdruck fielen, wie literarisch geprägt meine Ansprüche waren, wie ich immer wieder von Neuem treffende, komplexe Gedichtgewebe erfand, die meinem Leben nicht nur einen Ausdruck, sondern einen höheren Sinn gaben!

Meine Ablehnung gegenüber solchen literarischen Erfolgen war geprägt von einer Wut, die viel mit mangelnder Selbstachtung und Überheblichkeit zu tun hatte. Und noch mehr mit den gesellschaftlich geprägten Erwartungshaltungen und Vorstellungen davon, was weltlicher und beruflicher Erfolg bedeutet.

Meine damalige Lebenshaltung war eine durchaus „hollywoodianische“, ja märchenhafte: Erfolg ist Schicksal oder Zufall. Jemand Begabtes gerät immer durch eine Art höhere Bestimmung in den Sog des Erfolgs, der dann unaufhaltsam ist und fast ohne ihr Dazutun geschieht. Meine Verbitterung war eine direkte Konsequenz davon: Warum nicht ich?

Dass hinter dem Erfolg viel Zähneknirschen und Knochenarbeit steckt, konnte ich damals noch nicht zugeben oder sehen. Heute anerkenne ich dies vorbehaltlos: Dazu war ich einfach nie bereit. Ich war nicht bereit dazu, mich mit Ellbogen und Zähnen „nach oben zu kämpfen“ und dabei „alles zu geben“ und „volles Risiko einzugehen“. Kurz: Dafür wollte ich dann den Erfolg zu wenig stark. Brutal ausgedrückt: der Erfolg war ein Wunschtraum, für den ich nicht bereit war zu leiden oder kämpfen. Und ich ein Kind, das sich in den Einkaufspassagen quengelnd Süssigkeiten wünscht.

Und es ist ja nicht einmal so, dass ich durch diese „bequeme“ Haltung ein besseres, angenehmeres Leben gehabt hätte. Ganz im Gegenteil: die letzten Jahre waren buchstäblich in vieler Art und Weise die Hölle, gar nicht angenehm, wenn ich nur an meine fortdauernde Armut denke (und ich gebrauche Armut hier nicht als Metapher!).

Gutes Leben ist einfach

Als meine Tochter letzten Sommer ihre Matur abgeschlossen hat, habe ich auch an der Maturfeier teilgenommen. Dabei hat irgendeine Prominenz eine launige Rede gehalten, die weder aussergewöhnlich noch unrealistisch war. (Sie war gespickt mit Versprechen und Warnungen.) Im Laufe dieser Rede und unter dem Eindruck des schulischen Erfolgs meiner Tochter ist mir plötzlich die Weisheit des Predigers in die Knochen und die Seele geschossen, als begriffe ich sie zum ersten Mal.

So sah ich denn, dass nichts Besseres ist, als dass ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit; denn das ist sein Teil.

Prediger 3, 22

Am guten Tage sei guter Dinge, und den bösen Tag nimm auch für gut; denn diesen schafft Gott neben jenem, dass der Mensch nicht wissen soll, was künftig ist.

Prediger 7, 14

Noch während der Veranstaltung begann und beendete ich eine Art Loblied, eine Art Psalm des „erwartungslosen, anspruchslosen Lebens“. (Du kannst ihn unter folgendem Link lesen: Das Gedicht heisst „Psalm für den Prediger„.)

Doch was wurde mir da eigentlich klar und verständlich?

Es sind zwei ineinander verschränkte Erkenntnisse, die sich auch gegenseitig bedingen:

  1. Nicht das Mögliche zählt für dein Leben. Es zählt nicht, was du hättest werden können. Es spielt keine Rolle, was du mit dem dir geschenkten Leben und deinen Gaben erreicht hast. Was zählt, ist deine Haltung gegenüber diesem Geschenk. (Diese Haltung nenne ich „Dankbarkeit“.)
  2. Das Gute am Leben bestimmst du. Erst deine Haltung macht aus deinem Leben ein gelungenes, und weder die Ansichten oder Urteile anderer noch deine eigenen Absichten und Vorhaben können seinen Ausgang und seinen Erfolg beeinflussen oder bewerten. (Diese Haltung nenne ich „Demut“.)