Freiheit ist ein grundlegendes Wort für den Glauben.
Im christlichen Kontext hat Gott Adam und Eva wohl für die Übertretung des Gebots, nicht von der Frucht der Erkenntnis von Gut und Böse zu kosten, bestraft. Doch entgegen Ihrer mit dem Verbot verbundenen Drohung, „Sonst musst du sterben“, lässt Sie die beiden ersten Menschen frei.
Wie hat es die Schlange so schön gesagt:
Aber Gott weiss: Sobald ihr davon esst, werden euch die Augen aufgehen, und ihr werdet alles wissen, genau wie Gott. Dann werdet ihr euer Leben selbst in die Hand nehmen können.
Gen 3, 5
In der islamischen Überlieferung wird der erste Mensch (und Prophet!) Adam als ein herausragendes Geschöpf betrachtet, das vermöge Gottes Güte von einer besonderen Würde ist. Adam, der Mensch, ist darin ein Zwitter zwischen den Engeln, die purer Intellekt sind, und den Tieren, die pure Körperlichkeit, erfüllt von Begierde, sind. Gott heisst im Koran die Engel, sich aus diesem Grund vor Adam zu verneigen:
Denn siehe, dein Erhalter sagte zu den Engeln: „Siehe, Ich bin dabei, einen Menschen aus Ton zu erschaffen; und wenn Ich ihn vollständig geformt und ihm von Meinem Geiste eingehaucht habe, fallt nieder vor ihm in Niederwerfung.
Sure 38, 71f in der Übersetzung von Mohamed Asad
Asad weist in seinem Kommentar explizit darauf hin, dass Allah
den Menschen mit dem Vermögen des begrifflichen Denkens versah … und damit mit der Fähigkeit, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden.
Asad, Die Botschaft des Koran, S. 871
Diese beiden Traditionslinien sind sich trotz der jeweils unterschiedlichen Erzähl-Linien und -Traditionen darin einig, dass die Heilige in Ihrem Schöpfungsakt die Freiheit zum Guten und/oder zum Bösen für Ihre Geschöpfe entweder in Kauf genommen (biblisch) oder sie bewusst gewünscht hat (koranisch).
Gleichzeitig wird in vielerlei Erzählungen und Gestalten deutlich, dass die Allerbarmende wünscht,
- der Mensch möge sich für das Gute entscheiden, aber bereit ist,
- auch jene, die sich (teilweise oder ganz) für das Böse entscheiden, in Ihr liebendes Erbarmen einzuschliessen.
… ursprünglich aber liegt ein positiv ausgesprochener Inhalt zugrunde: fri geht von einer indogermanischen Wurzel aus, die auch „lieben, „hegen“, „schonen“ bedeutet (altindisch priya, „lieb). Diese älteste Bedeutung erhielt sich noch in gotisch frijon „lieben“ und in gotisch freidjan, mittelhochdeutsch vriten „schonen“ (Friede, Freund, frei stehen und erhellen sich in diesem Zusammenhang).
Wörterbuch der philosophischen Begriffe
Aus der oben genannten Grundbedeutung der indogermanischen Wurzel haben die Germanen „frei“ als Begriff der Rechtsordnung entwickelt: die Personen, die man liebt und daher schützt, sind die eigenen Sippen- und Stammesgenossen, die „Freunde“; sie allein stehen „frei“, d.h. „vollberechtigt“ in der Gemeinschaft, im Gegensatz zu den fremdgebürtigen Unfreien (Unterworfenen, Kriegsgefangenen).
Duden, Herkunftswörterbuch
Was Kinder im Philosophieren zur Freiheit sagen
Wenn ich mit Kindern philosophiere und dabei das Thema der Freiheit behandele, geschieht meist Folgendes.
In einem ersten Schritt stellen wir fest, dass Freiheit absolut gedacht bedeutet, „alles ist erlaubt“.
Die Rückfrage: „Ist wirklich alles erlaubt?“ führt die Kinderphilosophen im zweiten Schritt dahin, dass sie erkennen und ausdrücken: Freiheit ohne Regeln oder Grenzen ist Willkür und in letzter Konsequenz brutales, apokalyptisches Chaos.
Die Philosophenkinder können also selbst erörtern und erkennen, dass Freiheit etwas „Beschnittenes“ oder „zu Beschneidendes“ ist.
Debattieren wir über die Wege zum Guten und zum Bösen, die uns aus der Freiheit geschenkt sind, erfassen die Kinder meist unmittelbar,
- der Weg zum Guten ist nicht (immer) einfach, und
- der Weg zum Bösen ist häufig einfach und leicht zu beschreiten oder finden.
Dabei können sie sich auf ihre tägliche Konflikterfahrung auf Schulweg oder Pausenhof besinnen: wie viel leichter ist es, einem Beleidiger ebenfalls eine Beleidigung zuzuwerfen oder einer Schlagenden ebenfalls mit einem Schlage zu antworten!
Freiheit: eine wohlwollende Prüfung des Menschen
Freiheit als Grundwort und vielleicht sogar als Grundsatz des Glaubens meint daher in etwa Folgendes:
- Als Nachkomme Adams bist du als Mensch frei, dich für das Gute oder das Böse zu entscheiden bzw. ziwschen den beiden Polen hin- und herzuschwanken.
- Du weisst dich als Sein Geschöpf in Seinem Allerbarmen, in Seiner Güte und Gnade „aufgehoben“: weisst, wie wohl die Heilige allen, auch den schlechtesten Menschen will.
- Die dir geschenkte oder anvertraute Freiheit ist auch eine Prüfung. Als Gottesgeschöpf seiltanzt du zwischen den Impulsen deines begierden- oder triebgesteuerten Körpers und dem erkennenden und urteilenden Ansporn deines Geistes oder Intellekts. Die ersteren führen dich häufiger zum Bösen, während der letztere dich öfter zum Guten hinzieht.
- Dein Handeln und dein Denken geschehen zwischen Freiheit und Pflicht, zwischen individuellem Willen und ethischer Abwägung.
Zwiegestaltiges Befreiungsmoment
Zusammenfassend lässt sich für meinen Glauben festhalten, dass das befreiende Moment in der Schöpfungsgeschichte zwiegestaltig ist.
Einerseits hat mich die Heilige zu eigenem, eigenverantwortlichen Denken und Handeln nicht nur befähigt, sondern wünscht sich dieses explizit (als Hinwendung zu Ihr) von mir.
Andererseits weiss ich als Sein Geschöpf, wie verständisvoll verzeihend und barmherzig Er mich beachtet und schätzt, betrachtet und behandelt. Der Heilige weiss, wie sehr mir das Göttliche abgeht, obwohl ich Seinen Funken (Seinen Geist) in mir trage.
Allein in jenen Fällen, da ich mich zur Gottgleichheit aufzuschwingen versuche, wird Sie mich vermutlich nicht so leicht „entwischen lassen“ am Jüngsten Gericht…