Versuchung

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Beten heisst nicht immer auch verstehen. Die ganze Rätselhaftigkeit des Worts kann sich in einer Sentenz, in einer Phrase verbergen. Obwohl man immer wieder daran stösst, vielleicht nicht einmal mit Unverständnis, sondern bloss mit Erstaunen, dass einem dieses Wort schon wieder fast mühelos über die Lippen gegangen ist, und grade obwohl man keine Handhabe gegen seine Magie findet, bannt es einen in die Haltung eines Kleinkindes, das einen Satz wie aufspürend nachzusagen vermag, noch ganz ohne etwas von seinem Sinn zu verstehen.

Seit Jahren, Jahrzehnten geht es mir so mit dem

Und führe uns nicht in Versuchung

Des Vaterunser. Dieser Satz, direkt nach dem Doppelsatz der Vergebung, irritiert und verwundert. Umso mehr jemand wie mich, der mit Hiob einen guten, ja alltäglichen Umgang pflegt und sich nicht nur betroffen, sondern gemeint weiss in dieser Geschichte.

Wenn ich jedoch darüber nachgedacht habe, schien mir dieser Spruch immer wie ein falscher Spruch, der vermutlich fehlerhaft überliefert wurde oder aber noch ganz im Denken des „ganz andern“ Gottes des Alten Testaments verwurzelt ist: Gott ist derjenige, der in die Versuchung führt?! Gott, so wurde ich gelernt, so habe ich verstanden, so glaube ich, ist das Gute, auch das Prekäre, aber niemals das „Versuchende“.

Es könnte durchaus sein, dass ich oder jemand anderes in einer ähnlichen Lage in eine neue Entwicklungsstufe meines Glaubens hinübergehe, wenn ich diesen Spruch zu begreifen vermag…

Dann bin ich auf Hans Weders „Die „Rede der Reden“. Eine Auslegung der Bergpredigt heute“ gestossen. Und obwohl das Vaterunser aus dieser Rede stammt, schien mir diese Rede bisher immer eine der verbrauchtesten, ja scheinheiligsten Reden der Bibel. Und ich lernte, dass und wie dem nicht so ist.

Ich bin mir dabei nicht sicher, ob ich die Gedankengänge Weders richtig nachvollziehe, aber sie haben mir eine Verständnismöglichkeit eröffnet, die meinen Glauben erweitert hat. So glaube ich wenigstens.

Schon vorher war mir klar, dass die Bitte darum, nicht in Versuchung geführt zu werden, ein Eingeständnis der Schwäche des Betenden ist. Will heissen, der Betende gesteht, dass er vor der Versuchung schwach ist. Und dass er daher lieber nicht in Versuchung geführt werden möchte. Nicht umsonst heisst es ja gleich darauf (wieder eine Doppelforderung, sehr hebräisch-biblisch), man wolle bewahrt werden vor dem Bösen.

Weder nun nimmt genau dieses Konzept der Schwäche auf. Wir sind schwach und daher auf Gottes Stärke und Hilfe angewiesen. Nur wenn wir uns dies bewusst sind, ständig neu bewusst machen, uns in dieser demütigen und ehrlichen Einsicht üben, befähigen wir uns dazu, nicht in Versuchung zu geraten.

Der moderne Mensch (und Weder setzt das „modern“ immer in Anführungszeichen) verlässt sich häufig nicht auf andere, nur auf sich selbst glaubt er zählen zu können. Er hält sich für stark – seines Glückes Schmied. Diese Stärke, und das ist ganz Paulus, ist seine Schwäche, jene Blösse, mit der er sich der Lächerlichkeit und Peinlichkeit (im Sinne des Schmerzlichen der „Pein“) ausliefert – freiwillig und willentlich.

Versuchung wird hier also als der Moment gedacht, in dem der Mensch sich stark glaubt. Er verlässt sich auf nichts, nämlich auf sich selbst.

Das Nichts aber, wie das Böse, hat keine „Eigenständigkeit“ (Weder). Es ist – „nichts“. Verlässt man sich also auf „nichts“ (und daher nur auf sich), riskiert man, „den Teufel mit dem Beelzebub austreiben“ zu wollen:

In dieser Situation der Versuchung erinnert die Bitte im Unser Vater daran, dass ich nicht mich selbst gegen das Böse aufbieten kann, sondern dass gegen das Vernichtende nur der schöpferische Gott aufzubieten ist.

Folgt man Weders Gedanken, so ist die uns von Gott in Freiheit zugestandene Liebe gerade der Ort, an dem wir in Versuchung geführt werden. Sie lässt ja gerade „Raum für das Sich-Verlassen auf das Nichts“:

Sie kann nicht ausschliessen, dass ich mich auf meine Stärke mehr verlasse als auf sie. Würde sie das ausschliessen, wäre sie selbst zur Stärke degeneriert. (Hervorhebung von mir)

In dieser Freiheit durch Liebe muss es das Ziel des Betenden also sein, sich hin zu dem Ort zu bewegen, „wo er sich im Kampf gegen das Böse auf Gott verlässt“.

Und noch etwas verstehe ich damit: Alles Beten ist Bewegung, Bewegung hin zu Gott.

Weder behauptet in seiner Auslegung letztlich, dass es nicht um die Hineinführung in die Versuchung gehe, sondern um die Herausführung aus ihr.

Damit aber behält die Bitte weiterhin ihren bitteren Beigeschmack der „Prüfung“ durch Gott, nicht wahr?

Obwohl dies eine Möglichkeit ist, bin ich mir nicht mehr sicher: Das „Führe uns nicht“ ist vermutlich einfach vorauseilendes Eingeständnis der eigenen Schwäche, die sich (manchmal) stark genug glaubt, alles selbst bestehen zu können. Als Eingeständnis ist sie auch ein Zugeständnis an Gottes (rettenden) Beistand in dieser Gefährdung durch Selbstsicherheit.

Vielleicht geht es nur darum, und nicht um die Probe, den Test, den man uns immer wieder einbläuen wollte von kirchlicher Seite her…

Ich habe einiges verstanden, aber es bleibt für mich auf Messers Schneide. Vielleicht muss diese Deutung in mir noch reifen, noch wahrer, gelebter werden. Geholfen hat es mir letzthin, als ich in einem Nachtgebet des Te Deum (September-Ausgabe) diese schwierig zu deutende Bitte sogar dahin gewendet sah, dass sie um das „nichts“ gekürzt wird:

Führe uns in der Versuchung
damit wir auf deinem Weg bleiben

Quellen:

  • Hans Weder: Die „Rede der Reden“. Eine Auslegung der Bergpredigt heute, TVZ (5) 2003; S. 190-193.
  • Te Deum, Klosterverlag Maria Laach, September 2016.

Sozialtechnologisch…

Ähnlich … geht manches ethische Konzept der Gegenwart davon aus, dass die Beseitigung des Bösen eine Sache des Wissens um das Gute sei, dass die Sünde ein Organisationsproblem darstellt, das sozialtechnologisch aus der Welt geschafft werden könne, wenn man nur die Verhältnisse ändern könnte.

(Hans Weder: Die „Rede der Reden“, 2003; S. 192)

Keine Last?

Was ich anordne, ist gut für euch, und was ich euch zu tragen gebe, ist keine Last. (Mt 11,30; Gute Nachricht-Bibel)

Noch vor einigen Monaten hätte ich über diese Stelle gelacht oder den Stab darüber gebrochen. Was kann denn an der ganzen Sündenlehre, der ganzen Weisungs- und Nachfolgegeschichte, dieser ganzen Ratschlägetheorie und Gehorsamstheologie leicht sein?

Jetzt aber, vor dem Hintergrund meiner Einblicke in die Befreiungstheologie, meiner „Entdeckung“ der Bergpredigt als einer Rede, die nicht an uns Wohlständige gerichtet ist, denen es ungleich leichter fällt, „gerecht“ zu sein, — jetzt muss ich sagen, dass ich das Revolutionäre der Botschaft Jesu leichter erkenne und als leicht annehme.

So schwer es sein mag, den Mitmenschen, den Nächsten, wirklich / wahrhaftig und vor allem ehrlich anzunehmen und auf ihn zuzugehen — weil immer ein winziges Gran Egoismus und Zweckdenken in unserem Handeln mitschwingt –, so leicht sollte es eigentlich sein. Wenn – und nur wenn – wir uns dazu durchringen könnten, diese Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit immer mit uns zu tragen.

Behandelt die Menschen so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt – das ist alles, was das Gesetz und die Propheten fordern. (Mt 7,12; Gute Nachricht-Bibel)

Das ist die „Goldene Regel“. Und sie ist in Tat und Wahrheit einfach.

Sie ist der Urgrund eines Ethos. Einer Verhaltensregel, die unser ganzes Leben, Denken und Träumen erfassen kann.

Dass sie das nicht tut, darin liegt unser Wesen als Mensch. Der Mensch ist eine Art Pendel, das einmal hierhin ausschwingt und einmal dorthin ausschlägt. Die wenigen Menschen, die ankern in diesem Ethos, sehen wir schon fast als Wunder an.

Und weil wir abweichen von der rechten Linie, vielleicht sogar abweichen müssen, um Mensch zu sein, ist diese Regel, diese Bitte (Gebot will ich es bei Gott nicht nennen!), die jedem sofort einleuchten kann (ja, kann!), doch so schwer. Die Nachfolge Jesu ist kein leichter Sabbatweg.

Die Goldene Regel und die andern Ratschläge aus der Bergpredigt sind alles Beispiele dafür, wie der Mensch Freiheit in sklavischen Umständen gewinnt dadurch, dass er nicht so handelt, wie ihm nach „gesundem Menschenverstand“ geboten zu sein scheint. Dass die Freiheit darin liegt, auf seiner Würde zu bestehen, auf seiner Würde als Mensch.

Diese Würde muss sich darin realisieren, nicht den grundlegenden (tierischen?) Instinkten zu gehorchen. Diese Würde hat damit zu tun, dass sie sich nicht über die anderen stellt.

Würde hat nur, wer bereit ist, den andern als das anzunehmen, was er ist. Wer die Fehler der andern belächelt oder herausstellt, hat bei sich selbst auch keine Würde. (Übrigens auch der nicht, der nur seine eigenen Fehler herausstellt.) Eine Würde ist nur dann frei, wenn sie dem andern die selbe Würde zubilligt.

Und noch etwas: diese Würde, kann sie ehrgeizig sein – oder wettkämpferisch, wie das Paulus so gern möchte (1 Kor 9,24)?

Das kann ich nicht glauben.

Ehrgeiz, das gehört zum Menschen und nicht zu Gott. Jesus verurteilt immer wieder jene, die ihren Glauben öffentlich leben und herumzeigen.

Wirkliche Würde in Freiheit und wirkliches Leben nach dem Ethos der Goldenen Regel – ist still, aber überall da. Es lässt geschehen, macht aber nicht geschehen, was unrecht, ungerecht oder falsch ist. Es beteiligt sich nicht „am Treiben der Welt„, wenn man so will.

Bei Lao Tzu, dem grossen östlichen Weisen, entsteht der Eindruck, dass der Weise nur weise ist, wenn er nicht handelt. (Ich kann das falsch verstanden haben – sehr wahrscheinlich ist es sogar so, dass ich das falsch verstanden habe!) Er handelt nicht, weil er sich nicht in die Geschehnisse einmischt. Er lässt geschehen, was zu geschehen hat.

Aber in dem Geschehenlassen ist ein grosser Widerstand gegen das Geschehen selbst: unser christliches Tun muss immer darauf ausgerichtet sein, so glaube ich, dass es nicht der Macht und der Stärke dient, sondern der Schwäche und Ohnmacht.

Klingt gut. Aber ich weiss nicht, ob ich dazu fähig wäre, mich wehrlos niederknüppeln, mich im Ghetto festnehmen und abführen zu lassen.

Die Macht des Ohnmächtigen, des Wehrlosen. Seit ich in meiner Jugend Gandhi gelesen habe, geht mir dieses Prinzip nach und nahe. Ist sie wirklich die stärkere Macht, die grössere Kraft? Besser als die gerechte Gegenwehr der Gerechten?

Jesus lässt seine Hinrichtung jedenfalls geschehen. Und ist darin mächtiger als seine Richter oder Henker. Sein Sieg liegt im Geschehenlassen. Im Gehorsam vielleicht sogar, im Gehorsam gegenüber dem un-menschlichen Prinzip (un-menschlich daher, weil es unseren Instinkte – ja, nennen wir sie „Instinkte“! – zu widersprechen scheint), das er verkündete. Nur schon deshalb ist er Gottes Sohn.

Alles nun, das ihr tun wollt, das euch Leute tun, tut es ihnen ebenso. (Mt 7,12; BigS)

Feinde und Nachfolge

„Erst die Feindesliebe bringt den Menschen wirklich in die imitatio Dei, die Nachahmung Gottes, die zum Lehrgut der Synagoge gehört.“ (Schalom Ben-Chorin in: Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht)

In meinem letzten Blogeintrag habe ich die Schwierigkeit der Vergegenwärtigung, der Konkretisierung der Worte Jesu vor dem Hintergrund des befreiungstheologischen Denkens angesprochen. Eine solche Schwierigkeit stellt sich uns „normalen“ Menschen z.B. im Gebot der Feindesliebe, wie sie in der Bergpredigt verdeutlicht wird.

Ihr habt gehört, dass Gott gesagt hat: Liebe deine Nächste und deinen Nächsten und hasse die feindliche Macht. ich lege das heute so aus: Begegnet denen, die euch Feindschaft entgegenbringen, mit Liebe und betet für die, die euch verfolgen. (Mt 5,43 f.)

Es ist nur schon schwer (und manchmal fast unmöglich), einer Person, die einem aus mehr oder minder klaren Gründen unsympathisch ist (und mag es nur eine äusserliche, körperliche Abneigung gegen sie sein!), mit Freundlichkeit und Höflichkeit zu begegnen. Kann man aber jemand, den man nicht gern hat, weil er einen z.B. einmal verletzt, beleidigt oder belächelt hat, überhaupt mit Höflichkeit, mit zuvorkommender, entgegenkommender Freundlichkeit begegnen?

Und im nächsten Schritt soll man jemand, der etwas gegen einen hat, mit Freundschaft, mit Annahme behandeln… Was für eine hohe Hürde, denke ich mir.

Und ich glaube, habe es auch schon erlebt, dass die meisten Menschen dieses Gebot mehr oder weniger symbolisch auslegen. Eine solche sinnbildliche Deutung könnte etwa so gehen:

„Ja, ich weiss, dass ich meine Feinde – also Leute, die ich nicht mag, oder Leute, die mich nicht mögen -, mit Respekt behandeln sollte. Ich muss mir dieses Respekthabensollen immer gegenwärtig halten, das weiss ich auch. Das meint Jesus vermutlich auch: wir sollen hin und wieder über unseren Schatten springen, uns ein wenig selbst verleugnen. Aber ich glaube nicht, dass wir uns dabei verlieren sollten, dass wir unsere eigene Persönlichkeit verleugnen sollten.“

So wird die Feindesliebe zu einer Art vernünftigen Institution der Sozialkontrolle. Aber ist die Feindesliebe nur ein Instrument der sozialen Kohärenz?

Nein, ich leugne nicht, dass auch mir der Gedanke nicht behagt (wem denn?), seinen Feinden mit Liebe entgegen zu treten. Es ist ja nur schon schwierig, dem eigenen Kind, das man ja liebt (siehe auch Mt 7,9-11), ohne die Angst um seine Zukunft, ohne den Ansporn zu Leistung und Beharrlichkeit gegenüber zu treten… Diese Gefühle oder Impulse stören doch die Strahlkraft und Unmittelbarkeit der Liebe!

Wir Christen aber stehen in der Nachfolge Christi. Wir sollen unser Kreuz auf uns nehmen. Dieses Kreuz hat ja viele verschiedene Erscheinungsformen: Krankheit, Arbeitslosigkeit, Depression, Jähzorn, Empfindsamkeit, Nachsichtigkeit, etc. Es ist ein Kreuz, das von uns verlangt (ja, verlangt!), das allzu menschliche unseres Wesens – was mein Freund Paulus mit dem Fleisch gemeint hat – zu verleugnen, in Abrede zu stellen und durch Gegentaten zu widerlegen.

Klingt ein wenig allzu gut in meinen Ohren. Zu wenig radikal.

Nächstenliebe – das heisst für viele von uns bemerkenswerterweise etwas, was Paulus mit dem Gesetz beschreiben würde: keine gesetzlichen Übertretungen bitte, keine Verletzungen von sozialen oder psychischen Normen! Haltet euch an die Gesetze, befolgt sie.

Die Nachfolge als purer Gesetzesgehorsam? (Im doppelten Sinne: gegenüber der Tora / den Weisungen und gegenüber dem weltlichen Gesetz!)

Dürfen wir denn die Aufforderung zur Feindesliebe einfach als eine Art vor-kantischen „kategorischen Imperativ“ interpretieren?

Allerdings muss ich zugeben, dass ich persönlich keine Feinde kenne.

Niemand trachtet mir nach dem Leben oder der Arbeitsstelle. Keiner will mir die Wohnung, meinen Besitz oder meine Frau streitig machen. Meine Kinder werden nicht verfolgt oder diskriminiert. Ich kann in jedes Kaffee einfach eintreten, in jedes Theater gehen. Ich kann meine Meinung in Leserbriefen und auf Twitter (oder auf WordPress) kund tun. Niemand schreibt meiner Frau vor, dass sie sich verhüllen solle. Niemand will meine Tochter mit seinem Sohn verheiraten ohne meine Einwilligung. Ich kennen auch keinen Menschen, der mir von ganzem Herzen übel will. (Wenigstens glaube ich das. Vielleicht gibt es ihn oder sie, und ich weiss nicht darum…) Ich kann mit meinem Bart durch die Strassen gehen, ohne von bürgerlichen Politikern als Hassprediger dargestellt zu werden. Vielleicht schliessen viele von meiner Kleidung auf mein Wesen, aber niemand würde mir verbieten, mich so zu kleiden, wie ich will.

Ja, Nachfolge Jesu in unseren westlichen, reichen Demokratien ist nicht einfach.

Die zehn Gebote waren ja auch ein Instrument der Zähmung und Zivilisierung. Die Feindesliebe und die Nächstenliebe sind ähnliche Mittel zur Entbrutalisierung und Entradikalisierung des menschlichen Eigenwillens.

Und wenn ich mir überlege, was das alles bedeutet für mich und meinen Glauben, fürchte ich ein wenig um unsere Welt. Denn die zivilisierende Kraft des Glaubens ist in ihr nicht mehr nötig. Das Gesetz sorgt jetzt dafür; nicht das Gesetz Mose, sondern das Zivilstrafbuch, die Gerichte und das Bundesgericht.

Ich stelle mir manchmal, und nicht ungern, vor, was aus der Schweiz geworden wäre, wenn es die Aufklärung, die französische Revolution und all das nicht gegeben hätte. Ich denke dabei an den Roman von Abdurrahman A. Waberi namens „In den Vereinigten Staaten von Afrika„, in dem Chaos und Unterentwicklung nicht in Afrika, sondern in der Schweiz herrschen…

Und doch bleibt es dringlich, die Feindesliebe in unsere Gesellschaft hinein zu aktualisieren; die Nachfolge Jesu in unserer Gesellschaft neu zu definieren. Konkret und wirklich, nicht sinnbildlich.

Ich glaube, nur jemand, der zur Feindesliebe fähig ist, kann zu einem aufrechten, gerechten und authentischen Menschen werden.

Oder, wie ich es gerade im „Christ der Gegenwart“ über den verstorbenen Theologen Thomas Pröpper gelesen habe, der gesagt haben soll:

„Zwischen dem Menschsein (beziehungsweise Menschwerden) und dem Christsein kann es keinen Widerspruch geben.“