Apostelgeschichte. Das 1. Kapitel

Es wird nicht enden
Was anfängt mit dem Ende.
Das Ende fängt alles an.
Aufstieg und Abstieg.
Ein Abschied als Niederkunft
Eine Niederkunft als Grab.

Zeiten & Fristen gibt es nicht.
Da alles aus ist
Zum Vorschein kam
Denen aus den Käffern Galiläas
Die den Anschein schätzten
Das tägliche Brot & den Wein
Die aus Taumel nähren…
Ihnen kam vor Augen
Nochmals: Es kommt das Königreich
Erst mit der Kraft
Die aus euch aufsteigt
Die in euch niederfällt
Wie der Tau des Morgens
& die Würmer der Erde:
Blank & frei beim Fall des Regens.

Da stehen & glotzen sie…
Niederfallende Bauern
Mit weissen Augen
In Sorge um Saat und Ernte.
Es kommt nicht alles vom Himmel!
Das kann man nicht häufig genug
Wiederholen: ohne Dazutun
Wächst das Gras über Nacht
Im Schlaf… Geht in die Stadt!
Kommt hinunter in die Stadt!

Was für den Verräter
(Was wärt ihr ohne ihn!)
Zu Ende ist —
Wie eine Frucht platzte er
Eine Feige von Disteln
Eine Traube von Dornen
Auf den Acker
Den er gekauft hatte
Für den Preis des wirklichen Menschen:
Verborgenes ergoss sich im Blut
Wie Würmer wand es sich —
Was für ihn beendet ist
Kann es auch für euch
Und worin und wie
Ein Ende finden?

Es hat begonnen
Es war der zweite Abfall:
Ein Verfolgter Gottes
Ein Wegweiser mehr als wir
Am Rand des Blutackers
Hinein in die versammelte Runde
In das blökende Zeugnis hinein:
Da würfeln sie!

Mit diesem Zu-
Fall beginnt es auch.
Auf Erden.
Im Staub.

Schon windet sich die Rede
Mit ihrem nicht endenden Ratten-
Schwanz durch die engen
Kotigen Gassen der Stadt.

Niemand half dem andern
Der gescheitert war & erkannte
Vor den Spielern und vor dem harten Mann
Der anfangen hiess. Hätte er ihn nicht
Retten können? Wie du Herr?

Einen anderen Anfang als diesen machen
Statt im Schrecken im Nahreich
Statt himmlisch irdisch?

Apostelgeschichte. Ein Projekt

Ich mag die Apostelgeschichte nicht. Mir widerstrebt sie. Obwohl ich weiss, wie wichtig sie für die Gründung der Kirche, für die Begeisterung der Christen war / ist.

Wenn man mich fragt, was mir denn widerstrebt oder einfach nicht gefällt, würde ich etwa so antworten:

„Es ist mir eine zu ziel- und zweckgerichtete Erzählung. Sie ist voller merkwürdiger, unechter Reden (beginnend bereits mit der Petrus-Rede in Apg 1,16), die eine absolut komische Schriftbeweislehre entwickeln. Mir ist das Verhalten der Jünger nicht durchgehend sympathisch, und an gewisse Dinge kann ich einfach nicht glauben (Philippus‘ Entrückung durch den heiligen Geist in Apg 8,39). Dann ärgere ich mich auch noch darüber, dass alle „Märtyrergeschichten“ wie die von Stephanus Abbilder der Leidensgeschichte Jesus sein sollen. Ich verstehe sehr wohl, dass dies (wie auch die Schriftbeweise) metaphorisch, uneigentlich gemeint ist. Ich wehre mich gegen diese Konstruktion. Eine Konstruktion, ja: eine Konstruktion. Allerdings sind ja auch die Evangelien Konstruktionen, wie alles Geschriebene. Das ist dann wieder wahr…“

Ich habe schon einmal geschrieben, ich sei im Glauben wohl eher Alttestamentler als Neutestamentler… Ich kann Markion und andere „Puristen“ gut verstehen, die versucht haben, das im Entstehen begriffene Zweite Testament von allem „Hinzugedichteten“ und „Gelehrten“ zu befreien!

War Jesus nicht ein Bauernsohn? Petrus ein vermutlich der Schrift unkundiger Fischer? Und erst Paulus, dem wir so ungeheuer viel an theologischen Ansätzen und unausschöpflichen Ideen verdanken, war ein Gelehrter, ein Pharisäer noch dazu!

Ich möchte daher ein Experiment wagen. Ich möchte die Apostelgeschichte Kapitel um Kapitel lesen und von jedem Kapitel einen Blogeintrag erstellen: Bescheid geben von meinem Verständnis und von meinem Unverständnis. Dabei werde ich die Apostelgeschichte in der Fassung des Münchener Neuen Testaments lesen – und zur Hilfe gelegentlich die Bibel in gerechter Sprache beiziehen.

Auf ein gutes Gelingen also!

Worte & Werke

Ich bin oft im Zug unterwegs und so den Gesprächen, Debatten, Witzeleien und tiefsinnigen Platitüden meiner Zeitgenossen ausgesetzt. Ich geniesse das auch. Es ist häufig ein Genuss, der mit einem Erkenntnisgewinn auf verschiedenen Ebenen verbunden sein kann.

Was mich dabei am meisten beschäftigt und mir nach und nahe geht, ist die allgemeine Verwirrung nicht nur der Gedanken, sondern vielmehr noch der Verhältnisse. Ich steige manchmal aus dem Zug und wundere mich über die Ordnung und Spiessigkeit meines eigenen wirren Lebens im Vergleich zu all dem Chaos und Harm und Durcheinander, wie die Leute ihr Leben und das ihrer Nächsten darzustellen lieben. Gewiss hat die Wirrnis, die da durchdringt, auch mit unserer sehr mitteleuropäischen Art der Skepsis und intuitiven Neigung zur Abwertung zu tun: Es gelingt uns immer wieder von neuem, selbst das Gewöhnlichste, Alltäglichste und vielleicht sogar gar nicht so Schlechte in brutalster Hässlichkeit und in all seiner möglichen… Schlechtigkeit zu präsentieren.

Das Leben um mich scheint dann voller Katastrophen und Havarien zu sein: Pfändungen, Ehebrüche und Scheidungskriege, unverdiente Prostitution, Bestechung, Drogensucht und Drogenhandel, Arbeitslosigkeit, Prekariat und praktische Hilflosigkeit, geistige und materielle Mittellosigkeit, familiäre Kälte und Zerwürfnisse, Erbstreitigkeiten, schwesterlich-brüderliches Unverständnis oder Nicht-verstehen-wollen, Eigenwilligkeit bis zur Verblendung, materieller Fetischismus, — ich komme mir ein wenig vor wie Paul im Galaterbrief…

Was jedoch die Gleichschaltung mit der herrschenden Weltordnung hervorbringt, ist offenbar: Das sind Missbrauch von Sexualität, Zu-Dreck-Werden des Menschen, Zügellosigkeit; das sind Dienst an den Götzen und Hantieren mit bösen Zauberkräften, Feindschaft, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Konkurrenzdenken, Entzweiungen, Cliquenwirtschaft, Missgünsteleien; das sind Trinkereien, wüste Gelage und dergleichen. (Gal 5,19-21a; BigS)

Oder, wie es in der Einheitsübersetzung steht: „die Werke des Fleisches“… Ich zögere und stocke… Die Werke des Fleisches, die Gleichschaltung mit der herrschenden Weltordnung… Das „Fegefeuer“, denke ich mir verwirrt, ist gegenwärtig und immer…

Ich bin in solchen Momenten der Sättigung mit Zeitgeist und ausweglos-ausgelieferter Ergebenheit und Hingabe an die alltägliche Wirklichkeit im unausweichlich-machtvollen Jetzt vollkommen entgeistert. Schauen die Menschen, auch die mir Nahestehenden, denn weder nach hinten noch nach vorne um Rettung aus; geben sie nur die Oberfläche der Gegenwart in ihrer ganzen Weglosigkeit wieder und nie deren Unter- und vielleicht auch Abgründe?

Paul hat uns den Glauben vor den Werken gelehrt… Und ich denke täglich daran, wie schwierig es ist, diesen Glauben, der ja Vertrauen (nicht nur in Gott) ist, zu leben in einer widrigen und widerlichen Welt.

Als Lyriker bin ich zutiefst davon überzeugt, dass unsere Worte unsere Werke bestimmen; ein wenig so, wie unsere Selbstbilder von den Fremdbildern unserer Nächsten bestimmt, ja geformt werden (siehe Frischs „Andorra“): ein böses Wort führt zu einer bösen Tat.

Gottlosigkeit in Worten, möchte ich sagen, schliesst Barmherzigkeit, Güte oder Menschlichkeit aus. Wer sich in seiner Rede ans Fleisch hält (oder an die „herrschende Weltordnung“), könnte man mit Paul fragen: Kann die oder der in der Wirklichkeit seines Tuns, in der Wirklichkeit seines Wirkens gerecht sein?

Anders gefragt: dürfen uns die wirklichen, allgegenwärtigen Zustände ablenken von unserem Glauben, unserem Gottvertrauen; sollen wir uns von ihnen beeinflussen lassen? Wenn ja, wie beeinflussen diese Zustände unsere Worte und unsere Werke?

Gerecht sein — das wäre der ethische Impuls, der aus dem Judentum ins Christentum eingewandert ist. Gerechtigkeit aber wurzelt im Glauben (Hab 2,4, danke Paul!). Gerechtigkeit führt zum heilvollen Handeln am Nächsten, entweder zur Abkehr von der aktuellen Welt (dem Fleisch verfallen, danke Paul!) oder zu einer Verwandlung der aktuellen Welt aus einer einsichtigen Umkehr heraus (danke, ihr Niniviter!).

Auch wenn es um mich nur so von ungerechten Worten und unaufrichtigen Taten wimmelt, glaube ich, dass die meisten Menschen gerecht handeln und gerecht zu handeln verstehen. Höre ich die Sprüche und Flüche, die Verdammungen und die Auslassungen, höre ich die Menschen wie die Welt sprechen.

Müssen sie das nicht notwendigerweise tun? Haben sie eine andere Wahl? Könnte man z.B. nur uneigentlich sprechen? In Bildern wie Jesus? In komplexen theologischen Erörterungen wie Paul?

Niemand verstünde es. Es wäre nur halb so lustig hienieden…

Aber indem wir so reden, indem wir es so reden lassen durch uns, entfernen wir uns vom Gottesreich, das im Denken beginnt, in der Sprache wirkt (Pfingsten!) und schliesslich auch unsere Werke erfassen kann.

Und so sehr ich auch von dieser „herrschenden Weltordnung“ geprägt bin, so wünsche ich mir doch etwas anderes: eine Befreiung von dieser „herrschenden Weltordnung“, von der Herrschaft des Fleisches. Und glaube gleichzeitig daran, dass es „eigentlich“ ganz einfach sein sollte: das Denken ändern, das dann die Worte ändert, worauf auch die Taten anders werden.

Nicht wahr?

Ach, wären wir  nur schon befreit! Hätten wir nur den Mut zur Befreiung, zu diesem Schritt aus der Wirklichkeit heraus, die uns so bestimmt und beherrscht, dass wir so reden, wie wir es tun?

Und dadurch handeln, wie wir es tun?