Glauben ohne Konfession II – Glauben ist einfach. Keine Gesetze und Gebote, bitte!

(Alle diese Texte hätten nicht entstehen können ohne den Anstoss durch D. Alle diese Texte hätten nicht entstehen können ohne meine Gespräche mit D. und Y. Ihnen danke ich für ihre Schwestern- und Bruderschaft im Glauben.)

1.

Der Mensch ist ein unverwechselbar wechselhaftes Wesen. Stimmungsschwankungen, Panikattacken, Wucherungen und Infektionen, eingenistete Verzweiflung, Verdrängungsmechanismen und Lebenslügen.

Ich will die Gegenkräfte – wie freudige Dankbarkeit oder dankbare Freude – nicht vernachlässigen; sind sie doch jene Macht im Leben eines Menschen, die den Glauben erstarken und wachsen lassen, ihn auf einem Weg zum Fortschritt treiben.

Die wichtigste Kraft, eine wortwörtlich gute Konstante im Leben des Menschen ist der Glaube, der den Menschen in Freiheit jederzeit zu sich zurückholen oder zurückführen kann.

2.

Paulus, dieser alte Sophistiker, hat im Eröffnungskapitel des Römerbriefs einen Fakt ausgedrückt, der den meisten Menschen damals wie einigen selbst heute noch wie die sinnbildliche Binsenwahrheit vorkommen musste:

Denn es ist ihnen offenbar, was man von Gott erkennen kann; Gott hat es ihnen offenbart. Seit Erschaffung der Welt wird nämlich seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit.

Röm 1, 19

Diese Aussage postuliert nicht nur eine einfache Einsicht in Gottes Präsenz und Wirken, sie ist für mich zu einem Leitsatz geworden, wenn ich mit Menschen über ihren oder meinen Glauben rede. Zum einzigen unveränderlichen, unverbaubaren Leitsatz.

Denn wer die Existenz von Gott oder von Göttern anerkennt – selbst wenn diese Person diese Einsicht nicht in Glaubenshandlungen umwandelt oder diese Einsicht nicht für ihre eigenen Lebensentscheide nutzt -, hat in meinen Augen zum Glauben gefunden.

3.

Um ein letztes Mal mit Paulus zu sprechen: Der aus Glauben Gerechte wird leben. Wer Gottes Präsenz und Wirken feststellen und behaupten kann, hat zum Glauben gefunden – ist eine gerechte Person durch ihren Glauben: zur Gerechtigkeit begabt durch diesen Glauben.

Die ganze giftige Sprache, die Paulus im Anschluss an den oben zitierten Satz produziert, ist daher in meinen Augen nichts anderes als verquirlter Bullshit voller Homophobie und Frauenhass. Schande über ihn.

Wenn eine Person ein Bild braucht von Gott, um Seine Person in ihrem Leben gegenwärtig halten zu können, dann soll sie sich ein Bild davon machen dürfen. (Wir Christen mit unseren Schmerzensmännern am Kreuz sollten uns davor hüten, solche Bedürfnisse zu verurteilen.)

Wenn eine Person kein Bild von Gott braucht oder will, um sein Wirken und seine Präsenz in ihrem Leben zu verankern, dann soll sie ohne die Verbildlichung Gottes leben dürfen. (Doch nicht allen ist diese Glaubensstärke gegeben.)

4.

In einer abermaterialistischen  Welt sind gläubige Menschen kostbar, Keime in der Wüste. Und zwar unabhängig von der Gestalt ihres Glaubens: ob sie nun animistisch, charismatisch, in Heilserwartung oder mit vielen Göttern glauben.

Denn diese Menschen befinden sich alle auf dem Weg zur Heiligen, zu Gott; selbst wenn sie sich von Ihr nur das weltliche Gedeihen wünschen.

5.

Der Sündenfall jeder Religion ist die Institutionalisierung: die Normierung des Glaubensinhalte einerseits und die Schaffung einer meist maskulinen und frauenverachtenden Herrschaftskultur andererseits.

Diese beiden Faktoren verändern die Freiheit des Glaubenden: der reglementierte Glauben schränkt die gottgeschenkte Freiheit des Glaubens ein; die Hierarchie schafft eine Ungleichheit in der Glaubenspraxis und spricht der Gläubigen jegliche Deutungsmacht über ihren Glauben ab.

6.

Glaubenssätze sollten keine Paulus-Sätze sein. Paulus-Sätze sind Institutionssätze: Handbücher, Vorschriften, Gesetze.

Glaubenssätze sind einfach: „Gott ist barmherzig“, „Gott ist gross“, „Gott ist einzig“, „Ich bezeuge, es gibt keinen Gott ausser Allah und Mohammed ist sein Gesandter“, „Höre Israel: Er, unser Gott, er ist einer! So liebe denn den einen Gott mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele, mit all deiner Macht.“

Glaubenssätze gleichen sich; sie sagen das Gleiche.

7.

Die christliche Religion (im Gegensatz zur jüdischen und islamischen) hat ein furchtbares Glaubensbekenntnis. Schon als Kind und als Jugendlicher konnte ich nicht verstehen, warum ich es auswendig wissen sollte.

Der erste Satz – „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“ – ist ein wirklicher Glaubenssatz wie die oben zitierten, einfach und klar.

Danach jedoch folgt Satz auf Satz („knüppeldick“, wie Endo Anaconda selig gesagt hätte), der jeder einzelne fähig ist, den Gläubigen den Kopf zu verdrehen und das Herz zu verstümmeln mit Kasuistik und Formalismus.

Wenn ich dieses Glaubensbekenntnis lese, fühle ich mich misshandelt und nicht ernst genommen.

  • Ich habe Mühe mit der Dreifaltigkeit: Gott ist ein Gott, nicht eine merkwürdige gespaltene Persönlichkeit mit verschiedenen Aufgabenbereichen.
  • Ich habe Mühe mit der Göttlichkeit von Jesus: für mich ist Jesus zuvörderst ein Mensch, Punkt. Ein weiser, Gott geleiteter, ganz auf Gott hin orientierter Mensch. Niemals aber ein Gott.
  • Ich habe Mühe mit dem Heiligen Geist: ich brauche keinen Vermittler zwischen Gott und mir (oder schlimmer noch: zwischen Jesus und mir); der eine Gott ist in meinem Leben präsent und wirkmächtig, ohne dass ich Hilfe benötige von irgendwelchen atmosphärischen Störungen. (Ich sage das im Wissen um Jesu Ausspruch, gegen den Heiligen Geist zu lästern sei die einzige Sünde, die nicht vergeben werden könne: Mk 3,29 oder Mt 22,31-32.)
  • Ich habe Mühe mit dem Glauben an einen Messias und eine Auferstehung: es widerspricht meinem Glauben, an einen Messias zu glauben, der verschwindet, um „irgendwann“ (zu einer unbekannten Frist) wiederzukommen. Da bin ich ganz auf jüdischer Seite: Der Messias ist noch nicht gekommen. (Denn dann wäre ja das Ende der Zeiten da.)

Ich bin das Gegenteil von Markion: ich möchte das Neue Testament von allem Nachösterlichen reinigen, Jesus wieder ganz Jude, ganz jüdischer Rabbi sein lassen.

8.

Gott liebt jede, der glaubt. Gott ist in jedem Geschöpf anwesend, wohnt jeder Kreatur inne.

9.

Alle Religionen haben in Einfachheit begonnen und sollten in Einfachheit bestehen und enden. Alle Religionen gleichen sich in dieser Einfachheit; verlassen sie diese Einfachheit über Dogmen und Hierarchien, gehört der Glauben der Menschen befreit: zurück zu einer unmittelbaren, einfachen Botschaft der Freude.

10.

„Kehrt um“, hat Jesus gerufen. Was für ein wundervoller, kurzer Ausspruch und Anspruch an jeden Menschen! Denn in der Barmherzigkeit Gottes ist dies möglich; und die Religionen preisen alle Ihre Barmherzigkeit.

Umkehren heisst Befreiung finden in der ursprünglichen direkten Rede und Beziehung mit Gott.

Umkehren heisst die Wechselhaftigkeit, den Wankelmut des Menschen erkennen und anerkennen; heisst Zutrauen zu seiner Fähigkeit, die „enge Tür“ zu Gott zu finden.

Lest Nietzsche!

Für jede und jeden, die persönlich oder beruflich „mit Religion zu tun hat“, muss es ein Anliegen sein, sich stets mit den Gegenargumenten (und manchmal nur Vorurteilen) der Empiristen und „Realisten“ zu befassen; nicht nur sie anzuhören, sondern ihnen wirklich Gehör zu schenken. Denn oft sehen sie „von aussen“ sehr viel genauer, was „innen“ falsch läuft.

Solche „Gegenstimmen“ können zu „Fürstimmen“ werden. Sie können innere Behäbigkeiten und Fehlentwicklungen schmerzlich bewusst machen. Obwohl sie meist verhallen (in ohrenbetäubender Stille wie 2018 Martin Werlens „Zu spät“), sind sie umgekehrt proportional zu ihrer Wirkung in der Institution Kirche oder „Glaubensgemeinschaft“ wichtig.

Bei einer „relecture“, einer „Erneut-Lesung“, die auch eine „Neu-Lesung“ von Nietzsches „Antichrist“ war, wurde mir klar, dass diese anklagende Tirade auch heute noch ihre Berechtigung hat und erneut gehört werden müsste.

Gewiss ist es dabei so, dass vieles, was Nietzsche in seinem „Antichrist“ gegen den christlichen Glauben und die christlichen (institutionellen) Strukturen sagt, heute in weit geringerem Masse zutrifft. So ist der Katholizismus oder der reformierte Glaube längst nicht mehr ein derart stark die Mehrheitsgesellschaft strukturierender und daher bestimmendes Faktor; niemand beichtet heute mehr, weniger Menschen begeben sich unfreiwillig in die Abhängigkeit von Priestern und Kirchenleuten, die ihnen dann vorschreiben können, wie sie „richtig“ zu leben hätten.

(In Zukunft wird dieses Misstrauen gegen die Institution bzw. diese Distanz zum institutionalisierten Glauben angesichts von Generationen, die fast ohne konfessionelle Bildung aufwachsen, sowieso zu einem Dauerzustand und Fakt: die künftigen Generationen werden vermutlich kaum mehr verstehen können, wie diese Religionen jemals so eine Macht und Ausstrahlung besessen haben. Denn wer niemals „in der Religion“ war, so meine Erfahrung, wird es niemals mehr sein.)

Dennoch möchte ich hier einige Punkte in Erinnerung rufen, die mich bereits in einigen Blogeinträgen beschäftigt haben, und die mir Nietzsche grell und deutlich in den Blick gerückt hat. (Scheinen diese Feststellungen auch „bereits gewohnt“ und „allgemein bekannt“, heisst dies noch lange nicht, dass sie ihre Relevanz und vor allem Fragekraft verloren haben!)

Sicherlich gibt es gegen jeden dieser Punkte berechtigte und institutionell verankerte Einwände zu erheben. Doch allein schon die Tatsache, sie wieder einmal niederzuschreiben und in Erinnerung zu rufen, ist ein Akt der Befreiung. Egal, wie anders die kirchlichen Strukturen und Systeme heutzutage sind, wie freier der Katholizismus seit dem II. Vatikanum geworden ist. Das Malheur, würde Nietzsche sagen, liegt schon so lange zurück und besteht schon lange fort; wie es heute noch austreiben?

  1. Jesus wollte eine neue Praxis des Glaubens, des Lebens. Wenn etwas an ihm göttlich war, dann die Art und Weise, wie er exemplarisch „durch sein Leben“ aufgezeigt und vorgelebt hat, wie der Mensch „in Vollkommenheit und Fülle“ sich verhalten, leben sollte. Das heisst: „Das Evangelium starb am Kreuz. Was von diesem Augenblick an „Evangelium“ heisst, war bereits der Gegensatz dessen, was er gelebt: eine“ schlimme Botschaft“, ein Dysangelium.“ (Antichrist, 39) – Noch deutlicher kann man es nicht sagen: „Dieser „frohe Botschafter“ starb, wie er lebte, wie er lehrtenicht, um „die Menschen zu erlösen“, sondern um zu zeigen, wie man zu leben hat.“ (Antichrist, 35)
  2. Das Gottes- und/oder Himmelsreich muss aus der Hoffnungs-Struktur, die Kirche und Tradition aufgerichtet haben, befreit werden. „Das Himmelreich ist ein Zustand des Herzens„, schreibt Nietzsche (meine Hervorhebung). Es darf niemals darum gehen, diese Versprechen ins Jenseits, ins Unerreichbare zu verdrängen: das Himmelreich muss hier unten möglich sein und werden. Momentan, blitzartig und immer wiederholt und wiederholbar.
  3. Das Priestertum gehört abgeschafft. Nietzsche macht immer wieder deutlich, dass die Priester aus Machtinstinkt und Selbsterhaltungstrieb den Glauben gekidnappt haben und ihn für ihre Zwecke seinen Ursprüngen längst entfremdet haben. (Das müsste uns ja eigentlich klar sein, wenn wir nur in den Evangelien lesen: Jesus war kein gelehrter Rabbi, sondern ein freidenkender Theologe, der vor allem bei den orthodoxen und konservativen, schrifttreuen Zeitgenossen auf Ablehnung stiess.) Alles, was nach Klerikalismus schmeckt, was der Hierarchie dient, gehört ausgeräuchert. – Und natürlich erkennt Nietzsche ebenso, dass der Selbsterhaltungstrieb dieser klerikalen Strukturen sich gegen alle Veränderung wehren wird; was wir ja jüngst in dem Papier der Kleruskongregation gesehen haben. Der Priester, würde Nietzsche sagen, will „überall unentbehrlich“ sein (Antichrist, 26).
  4. Begriffe wie „unbefleckte Empfängnis“ und „Sünde“ sind aus der Gedankenwelt der Kirchen zu verbannen. In einem Zeitalter, das weiss (Antichrist, 38), sind diese Begriffe nicht nur nicht Machtinstrumente, sondern nur noch lächerlich. „Die Sünde, nochmals gesagt, diese Selbstschändungs-Form des Menschen par excellence, ist erfunden, um Wissenschaft, um Kultur, um jede Erhöhung und Vornehmheit des Menschen unmöglich zu machen; der Priester herrscht durch die Erfindung der Sünde.“ (Antichrist, 50)
  5. Die Korruption des Christentums beginnt mit der ersten Gemeinde und dem Begriff vom „Tod am Kreuz“. So wird aus dem Christentum eine Religion, für die das Leiden im Zentrum steht; eine Religion, die alles Körperliche ablehnt.

Sicherlich gibt es gegen jeden dieser Punkte berechtigte und institutionell verankerte Einwände zu erheben. Doch allein schon die Tatsache, sie wieder einmal niederzuschreiben und in Erinnerung zu rufen, ist ein Akt der Befreiung.

Egal, wie anders die kirchlichen Strukturen und Systeme heutzutage sind, wie freier der Katholizismus seit dem II. Vatikanum geworden ist.

Das Malheur, würde Nietzsche sagen, liegt schon so lange zurück und besteht schon lange fort; wie es heute noch austreiben?

Abschied von einer Institution

2018-07-06 15.04.33

Als Student des RPI Luzern habe ich vor einem Monat meine 2-jährige Praxisstelle in einer Aargauer Gemeinde beendet. Sinn und Zweck dieser Praxisstelle soll es sein, die werdenden Religionspädagogen in das Leben einer Pfarrei einzuführen.

Ich bin wirklich froh darüber, dass es zuende ist. Das meiste, was ich im Studium gelernt habe, war in der Praxis kaum oder nur begrenzt umsetzbar. Ich habe kaum authentisches Glaubenshandeln erlebt, kaum Schaffens-Freiheit, keinen Mut für Neues und Ungewohntes.

Die beiden Praxisjahre waren Jahre des Anlaufens gegen eine Institution. Verkrustung, Bequemlichkeit und Starrsinn sind nur einige der Phänomene, denen ich begegnen durfte. Von der Freude des Evangelisierens ist auf der lokalen Ebene nichts zu spüren. Da geht es um das Organisieren, Ordnen und Koordinieren. Um das Funktionieren.

Meine Anfragen, meine Neugier und meine Initiative verkümmerten in einer Institution, die gegen aussen für Engagement und Offenheit stehen möchte, gegen innen aber kontrolliert, diszipliniert und beschneidet.

Als jemand, der aus der Wirtschaft kommt, war ich erstaunt, wie kleinherzig und engstirnig gehandelt wird. Da habe ich in der Wirtschaftswelt weit mehr “missionarischen Eifer” erlebt, trotz des Gebots eines “Wachstums um jeden Preis”.

Obwohl dieser Blog für die Kirche werben soll, kann er auch warnen. Und ich möchte dies hier tun.

Eine meiner letzten Tätigkeiten war das Spitzen von Farbstiften für das neue Schuljahr. Und ich möchte diese Tätigkeit fast als Sinnbild nehmen für die Arbeit in einer Pfarrei: Statt mit Farbstiften zu malen, werden sie gespitzt. Administration statt Kreation.

Ja, ich werde mich für eine ganze lange Weile von der Institution Kirche entfernen.