Die Kinder fragen ein „Warum“, das die Erwachsenen vergessen haben; ein „Warum“, das nicht nach Ursache und Wirkung fragt, sondern nach dem, nach der Bedeutung des Erfragten für unser Leben. Auf dieses „Warum“ ist eine Antwort zu finden fast unmöglich.
Nachdem ich meinem ersten Kind die klassische Ursache-Wirkung-Antwort gegeben hatte, die es (und mich) nicht zufrieden stellte (stellen konnte), weil vor jeder Ursache noch eine Ursache und nach jeder Wirkung noch eine Wirkung liegt, in die Ewigkeit und in die Unsichtbarkeit hinein (nach hinten und nach vorne), habe ich meinem zweiten Kind nicht mit Begründungen und Erklärungen, sondern mit sinnhaften Zusammenhängen zu antworten versucht.
Auf die Frage, warum es denn regne, antwortete ich – ohne nachzufragen, ob er meine, warum es heute regne oder warum es überhaupt regne, – damit die Pflanzen leben und wachsen können… Das darauf folgende „Warum“ war natürlich, warum denn die Pflanzen leben… Eine Warum-Reihenfolge bis in die Unendlichkeit also auch hier! Was auch heisst, dass bereits die erste Antwort nicht die richtige war…
Ebenso ist es fast unmöglich, eine Begründung oder Erklärung dafür zu finden, warum etwas ist anstatt nicht zu sein.
Die ganzen Theorien zum Urknall oder zur Evolution sind zwar wissenschaftlich abgeklopft und überprüft, aber sie gelten nur bis zu ihrer Widerlegung. Auch sie hinterlassen also nicht nur allein deshalb ein Gefühl des Mangels, des Hungers oder Dursts nach mehr zurück in uns…
Und doch führt dieses „Warum“ uns direkt zu unserer Grundfrage zurück: „Was hat das denn das alles überhaupt mit Gott zu tun?“
…
Ich lese zurzeit, hauptsächlich von Dostojewski angestossen, das Johannes-Evangelium. Doch habe ich damit meine liebe Mühe: da redet Jesus ununterbrochen in verqueren theoretisch verquasten Leitsätzen, die manichäischer nicht sein könnten… Die Sätze gehen mir zwar sofort zu Herzen, aber ihre Bedeutung, ihr tieferes „Warum“, bleibt mir verborgen. (Ein wenig wie meinem Sohn also auf seine Frage nach dem Regen die Tatsache des Regens einleuchtet, aber die Begründung irgendwie merkwürdig bleibt.)
Die Weisheit war in der Welt, und die Welt ist durch sie entstanden, aber die Welt hat sie nicht erkannt. (Joh 1,9; BiGS)
ich begann, in Drewermanns Kommentar des Johannes-Evangeliums zu lesen… und begriff (nein: ergriff!) plötzlich, was mir nicht eingeleuchtet hatte, was ich nicht „erklären“ konnte:
Ohne das Wort in den Dingen, besser: das Wort ausden Dingen, ist die Welt leer und fremd; ist, wenn man so will, absurd im Sinne von Camus… Alles rationalistische Verständnis entzieht sich dieser Welt; erst durch die Erkenntnis-Tat (alles redet und hat Sprache) wird die Welt bewohnt und zu einer Heimat.
Alles redet: ist erfüllt (mit Sinn).
Alles redet: ist an uns gerichtet.
Alles redet: denkt.
Alles redet: ist Botschaft.
Es gibt Tage, manchmal Wochen, wo fast jeder Augenblick meines Lebens mit diesem (johanneischen!) staunenden Dank an Gott erfüllt ist, bis zu den Tränen der Freude, die immer Tränen des Dankens sind.
Alles redet: lässt sich erkennen.
Denn das, was von Gott erkannt werden kann, ist für sie (die Menschen) sichtbar. Gott selbst hat es ihnen gezeigt: Seitdem die Welt geschaffen wurde, können die Augen der Vernunft die unsichtbare Gegenwart Gottes im Geschaffenen deutlich wahrnehmen, die immerwährende Kraft und Göttlichkeit. (Röm 1,19f.; BiGS; Herv. von mir)
Womit („Warum“) die Dinge und Wesen gefüllt sind, erkennt oder nimmt jeder Mensch unterschiedlich wahr: aber alles antwortet ihm.
Die Fülle – besser noch: die Füllung allen Wesens und allen Dings mit Antwort: das ist für mich eine der möglichen Antworten auf die Frage, was das alles überhaupt mit Gott oder Religion zu tun habe!
Eine Antwort, die nicht nur fast unmöglich zu geben ist, sondern vom Zuhörer erwarten muss, dass er ihre Fülle erkennt und wahrnimmt, aber auch für ihre Fülle offen und da ist. (Nicht umsonst bittet Jesus doch immer so eindringlich darum, alle mit Ohren sollten zuhören!) Denn alle Kommunikation ist ja recht eigentlich mitfühlen, besser noch: mit-füllen.
(Wer aber keine Füllung sieht, hört, riecht, ertastet, er-redet: ist kein Mensch (mehr). Oder, um ganz exklusivistisch und ausschliessend zu sein: er hat das Menschsein noch nicht erlernt.)
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