In was für einer Gesellschaft… ?

Ich weiss, dass du weder kalt noch warm bist!
Halte nur fest was du hast. Du solltest
kalt oder warm sein. Ich aber spucke dich
Aus – dein Reichtum ist dein Mangel.

Trage nur leicht an deinem hybriden Siegeskranz!
Dein ist der Mangel an Armut. Du weisst nicht
wie es in Armut ist und willst es nicht
wissen wie die sind auf den Bänken mit ihren Dosen
Anker-Bier. Halte nur fest. Wärst du
kalt oder warm! Bist kalt und deine erfrorenen
Ohren hören nicht mein Klopfen und deine Nase
riecht nicht den Braten der Güte und des Verzeihens
und deine Finger halten nicht den Spaten
um dich aus dem Splitter herauszugraben…

Reibe dir nur Salbe auf deine Augen wie das Kind
das nicht gefunden werden will!

Die Türe die ich dir biete
ist keine zu einem Eigenheim
oder zu einem 3a-Konto oder
zu einem Atombunker —

Die Türe ist draussen
vor deiner Türe in ihnen
den Widergängern der Gier
den Untoten der Reichen
den Fledermäusen des gebohnerten Landes —

Und ich weiss dass du lau bist
und speie dich auch noch bevor du
in meinem Magen dich an der Wärme
und Tatkraft der Bakterien und Säfte
gütlich tun konnntest wie an deinem Land
und an diesen Menschen mit ihren
Kränzen aus Augenringen die sie
um ihre Rippen winden um dich nicht
erschrecken oder stechen…

(nach Offb 3,14-20)

Glaubensworte: Annehmen

Es gibt Wörter, die zur fixen Idee werden. Sie lassen nicht mehr los. Einerseits will ich sie immer gebrauchen, immer anwenden; sie sollen alle Bereiche meines Lebens durchdringen. Daraus kann sich andererseits eine Art Hassliebe entwickeln. Der Gebrauch nutzt die Wörter allmählich ab. Sie werden alltäglich. Sind sie dann nicht mehr wirksam? Vielleicht werden sie dann erst recht nötig und benötigt?

Andere Wörter bieten sich von aussen an. Sie sind „Fremdwörter“, weil ich sie zuerst für mich anwenden lernen muss. Lange bleiben sie so: entweder negativ belastet und vorbelastet oder aber unverstanden.

Und irgendwann, urplötzlich scheinbar, sind sie „mein“ geworden. Ich brauche sie dann sehr häufig und sehe hin und wieder die verwunderten Gesichter der andern, die mit ähnlichen „Anfangsvorurteilen“ zu kämpfen haben, wenn sie mich diese Wörter fast schon inflationär gebrauchen hören.

Ein solches Wort ist für mich im Laufe des vergangenen Jahrs „annehmen“ geworden.

Dieses Wort war für mich lange Zeit mit den Gutmenschen verbunden, die ja immer so ach empfindsam, emphatisch und irgendwie unerlaubt offen und akzeptierend sind. (Übrigens heisst das nicht, dass sie tolerant sind; diese Gutmenschen haben genauso ihre Prinzipien wie „unsereins“.)

Das Wort ekelte mich fast an, ähnlich wie dieses andere, von der „Achtsamkeit“.

Es bedeutete mir nichts, weil ich es nicht zu mir liess, nicht zuliess.

Doch irgendwann muss in mir etwas geschehen sein, das dieses Wort in den absoluten Vordergrund meines Denkens und Glaubens gerückt hat.

Ich denke inzwischen, es war meine Beschäftigung mit den letzten Tagen von Dostojewski, die einen ersten Impuls gesetzt hat. Dieser soll nämlich auf seinem Sterbebett gewünscht haben, dass seine Frau aus seiner geliebte „Tobolsker Bibel“ lese. Wie seine Frau berichtete, diente ihm die Bibel oft als eine Art Kompass. Auch auf dem Sterbebett soll das so gewesen sein. Wie durch ein Wunder soll die Stelle im 3. Kapitel des Matthäus-Evangeliums aufgeschlagen worden sein, in der sich Johannes (eine zentrale Figur für Dostojewski, wie ich glaube) weigert, Jesus zu taufen:

 Johannes aber wollte es nicht zulassen und sagte zu ihm: Ich müsste von dir getauft werden, und du kommst zu mir? Jesus antwortete ihm: Lass es nur zu! Denn nur so können wir die Gerechtigkeit ganz erfüllen. Da gab Johannes nach. (Mat 3, 14-15; EÜ)

Dieses Nachgeben, dieses Zulassen, von dem sich Dostojewski angerufen fühlte ­– das ihn aufrief, sein Sterben „anzunehmen“ –, das ist vermutlich die Initialzündung für meine Fetischisierung des Wortes „annehmen“.

Doch was heisst dieses „annehmende“ Leben, diese Lebensweise, die annimmt?

Letzthin musste ich schmunzeln, als ich bei der Vorbereitung einer Religions-Stunde, in der es um die Realisierung von Träumen ging, auf eine Webseite gestossen bin, die in 5 Schritten zur „Verwirklichung des Traums“ zu führen vorgibt.

Und nach dem Schmunzeln musste ich nicken, denn da steht doch tatsächlich jener fast primordiale, alles überscheinende Punkt für meine „Theorie des Annehmens“:

Akzeptiere deine Vergangenheit mit ganzem Herzen

Das ist es ja. Ja, das ist es.

Nur wem es gelingt, seine Vergangenheit mit allem Schönen und vor allem mit allem Scheusslichen und Schuldigen anzunehmen, voll zu dieser Vergangenheit zu stehen – nur diesem ist der Schritt ins Annehmen vergönnt. Wer nicht zu seiner Vergangenheit stehen kann, wer nur einen Teil seiner Vergangenheit – und wenn wir schon dabei sind, auch seiner Gegenwart! – akzeptiert (und den „schlechten“ Rest nur „toleriert“), der wird nie in einen Zustand gelangen, der ihm das Annehmen erlaubt.

Annehmen meint also:

  • Die eigene Identität als einzige, wahrhafte zu verstehen. Es gibt keine andere, imn Abwendung oder im Gegensatz zur jetzt gelebten anzustrebende Identität; wohl aber andere Wege als die bisher eingeschlagenen! – Ich glaube auch, dass dies der einzige Weg ist, sich der Sündhaftigkeit einerseits bewusst zu werden und sie andererseits aus dieser Bewusstheit heraus mindern zu können.
  • Das „Schlechte“, „Böse“ nicht verdrängen, sondern es als Teil von Gottes Welt zu verstehen. Dass „Böses“ und „Schlechtes“ geschieht, vielleicht geschehen muss, so schrecklich dieser Nebensatz ist, gehört zu dieser Schöpfung. Diese „Spiegelungen“ des „Guten“, wie ich sie nennen möchte, diese „Widerbilder“ des Guten entstehen aus der Freiheit heraus, die uns Gott im Anfang geschenkt hat. – Auch das von mir ausgehende Böse und Üble kann ich so erkennen. Es kann jedoch niemals das „Schöne“ und „Gute“ negieren; das wird ihm nur gelingen, wenn ich mich gegen das „Böse“ und „Schlechte“ in und an mir wehre.
  • Annehmen ist weder rückwärtsgewandt noch fatalistisch. Es ermöglicht im Rück- und Jetztblick einen Zukunftsblick und eine Zukunftswelt, die sich vielleicht nicht einmal tiefgreifend verändert hat oder verändern lässt, aber doch eine grössere Freiheit verspricht.

Und dieses Annehmen ist ein ganzheitliches. (Auch dieses „ganzheitlich“ ist so ein Ekelwort wie es das „annehmen“ einmal war…) Es erstreckt sich auf alle Aspekte des eigenen Lebens, der eigenen Person und umfasst sie gleichzeitig.

Aber es ist, und das ist ein wichtiger Punkt, wie alle menschlichen Haltungen und Verhaltensweisen, nicht ein Zustand, der andauert. Es ist eine Haltung, die immer wieder von neuem eingeübt, eingenommen und praktiziert werden muss; und in gewissen Situationen leichter als in anderen fällt.

Mit dem Annehmen ist es letztlich ein wenig wie mit der Nachfolge, diesem hohen Anspruch für jeden Christen: Nachfolge ist ein momentaner und affektgesteuerter Zustand und keine Wesensart. Oder vielleicht doch?

 

Du schreibst auf mich

Du schreibst auf mich
Mit den bitteren Stäben deiner Liebe:
Und ich gehe darin herum
In meinem beschriebenen Fleisch —
Ein Gesang ohne Leiter.

Es schwirrt mein Kopf wie ein Krater
Im Leib eines Panthers. Die Lettern
Meiner Leere lassen mich weit gehen
Aber nicht dorthin wo du möchtest.

Und wieder zähle ich auf
All die bitteren Dinge deiner liebenden Hand
Von der Farbe des Safrans
All die schütteren Kalküle
Meiner Liebe…

Ich grolle weil die Stäbe
Nicht sich biegen lassen und ich mich
Wieder beugen lassen muss:
Ein ewiges Verb.

Die Lettern rascheln in meinem Schoss
Wie Hände. Was nur kann ich tun
Um das Wort deines Stabes
Schadlos zu ergreifen?

Was hat denn das mit Gott zu tun? (Zweiter Teil)

Die Kinder fragen ein „Warum“, das die Erwachsenen vergessen haben; ein „Warum“, das nicht nach Ursache und Wirkung fragt, sondern nach dem, nach der Bedeutung des Erfragten für unser Leben. Auf dieses „Warum“ ist eine Antwort zu finden fast unmöglich.

Nachdem ich meinem ersten Kind die klassische Ursache-Wirkung-Antwort gegeben hatte, die es (und mich) nicht zufrieden stellte (stellen konnte), weil vor jeder Ursache noch eine Ursache und nach jeder Wirkung noch eine Wirkung liegt, in die Ewigkeit und in die Unsichtbarkeit hinein (nach hinten und nach vorne), habe ich meinem zweiten Kind nicht mit Begründungen und Erklärungen, sondern mit sinnhaften Zusammenhängen zu antworten versucht.

Auf die Frage, warum es denn regne, antwortete ich – ohne nachzufragen, ob er meine, warum es heute regne oder warum es überhaupt regne, – damit die Pflanzen leben und wachsen können… Das darauf folgende „Warum“ war natürlich, warum denn die Pflanzen leben… Eine Warum-Reihenfolge bis in die Unendlichkeit also auch hier! Was auch heisst, dass bereits die erste Antwort nicht die richtige war…

Ebenso ist es fast unmöglich, eine Begründung oder Erklärung dafür zu finden, warum etwas ist anstatt nicht zu sein.

Die ganzen Theorien zum Urknall oder zur Evolution sind zwar wissenschaftlich abgeklopft und überprüft, aber sie gelten nur bis zu ihrer Widerlegung. Auch sie hinterlassen also nicht nur allein deshalb ein Gefühl des Mangels, des Hungers oder Dursts nach mehr zurück in uns…

Und doch führt dieses „Warum“ uns direkt zu unserer Grundfrage zurück: „Was hat das denn das alles überhaupt mit Gott zu tun?“

Ich lese zurzeit, hauptsächlich von Dostojewski angestossen, das Johannes-Evangelium. Doch habe ich damit meine liebe Mühe: da redet Jesus ununterbrochen in verqueren theoretisch verquasten Leitsätzen, die manichäischer nicht sein könnten… Die Sätze gehen mir zwar sofort zu Herzen, aber ihre Bedeutung, ihr tieferes „Warum“, bleibt mir verborgen. (Ein wenig wie meinem Sohn also auf seine Frage nach dem Regen die Tatsache des Regens einleuchtet, aber die Begründung irgendwie merkwürdig bleibt.)

Die Weisheit war in der Welt, und die Welt ist durch sie entstanden, aber die Welt hat sie nicht erkannt. (Joh 1,9; BiGS)

ich begann, in Drewermanns Kommentar des Johannes-Evangeliums zu lesen… und begriff (nein: ergriff!) plötzlich, was mir nicht eingeleuchtet hatte, was ich nicht „erklären“ konnte:

Ohne das Wort in den Dingen, besser: das Wort ausden Dingen, ist die Welt leer und fremd; ist, wenn man so will, absurd im Sinne von Camus… Alles rationalistische Verständnis entzieht sich dieser Welt; erst durch die Erkenntnis-Tat (alles redet und hat Sprache) wird die Welt bewohnt und zu einer Heimat.

Alles redet: ist erfüllt (mit Sinn).
Alles redet: ist an uns gerichtet.
Alles redet: denkt. 
Alles redet: ist Botschaft.

Es gibt Tage, manchmal Wochen, wo fast jeder Augenblick meines Lebens mit diesem (johanneischen!) staunenden Dank an Gott erfüllt ist, bis zu den Tränen der Freude, die immer Tränen des Dankens sind.

Alles redet: lässt sich erkennen.

Denn das, was von Gott erkannt werden kann, ist für sie (die Menschen) sichtbar. Gott selbst hat es ihnen gezeigt: Seitdem die Welt geschaffen wurde, können die Augen der Vernunft die unsichtbare Gegenwart Gottes im Geschaffenen deutlich wahrnehmen, die immerwährende Kraft und Göttlichkeit. (Röm 1,19f.; BiGS; Herv. von mir)

Womit („Warum“) die Dinge und Wesen gefüllt sind, erkennt oder nimmt jeder Mensch unterschiedlich wahr: aber alles antwortet ihm.

Die Fülle – besser noch: die Füllung allen Wesens und allen Dings mit Antwort: das ist für mich eine der möglichen Antworten auf die Frage, was das alles überhaupt mit Gott oder Religion zu tun habe!

Eine Antwort, die nicht nur fast unmöglich zu geben ist, sondern vom Zuhörer erwarten muss, dass er ihre Fülle erkennt und wahrnimmt, aber auch für ihre Fülle offen und da ist. (Nicht umsonst bittet Jesus doch immer so eindringlich darum, alle mit Ohren sollten zuhören!) Denn alle Kommunikation ist ja recht eigentlich mitfühlen, besser noch: mit-füllen.

(Wer aber keine Füllung sieht, hört, riecht, ertastet, er-redet: ist kein Mensch (mehr). Oder, um ganz exklusivistisch und ausschliessend zu sein: er hat das Menschsein noch nicht erlernt.)