Der Begriff des Glaubens ist in meinen Augen einer der schwierigsten. Dies ist er aus vielerlei Gründen.
Der Glauben als Lebens-Einstellung und das Glauben als aktive Seelen- oder Vernunftbewegung werden in den monotheistischen Offenbarungsschriften immer wieder als ursprünglich-instinktive, als gefühlsmässig-hörende oder -gehorchende Handlung und Haltung verstanden.
So sagt Jesus zur Frau mit dem Blutfluss: „Meine Tochter, dein Glaube hat dich gerettet.“ Und zum Synagogenvorsteher: „Fürchte dich nicht! Glaube nur!“ (Mk 5,34 und 5,36 in der EÜ)
Glauben als Vertrauen und Annehmen
Trotz meines Widerstands gegen den Begriff des Gehorchens – der in meinen Ohren zu dem des Aufmerkens und Hinhörens umformuliert werden sollte -, und trotz meines aufgeklärten, mündigen Verstandes, dem Wunderheilungen – und noch dazu durch blosses Glauben an die Heilung! – im Mindesten suspekt sind, trotzdem habe ich mir immer wieder von Neuem einen Reim darauf zu machen versucht.
Zuletzt habe ich „glauben“ mit „vertrauen“ einerseits und mit „annehmen“ andererseits gedeutet. Das meint, „vertrauen auf Heiling im zeitlichen Nun und Rettung im Bezug auf Letztes“. Das heisst, „in der Annahme von Schmerzen, „Anfechtungen“ oder „Versuchungen“, von Todesängsten und Krankheiten, als im Bejahen des Bösen, das dir geschieht, erweist du dich als gottnaher, gottwürdiger Mensch“. In diesem Sinne hat „annehmen“ grosse Ähnlichkeit mit Demut und Geduld, den beiden Seiten der gleichen Medaille. (Mit Gehorchen hat es dann nichts zu tun, wohl aber mit dem erduldenden, ertragenden Leiden im Wissen auf eine endliche Lösung oder Rettung hin.)
Dabei muss immer klar sein, dass sowohl die Haltung als auch die Bewegung namens „Glauben“ eine entwicklungsoffene, eine nie abgeschlossene ist. Der Gläubige, der seinen Glauben „gefunden“ hat und sich darin „einnistet“ (seines Glaubens und seines Gottes gewiss ist), der glaubt bereits nicht mehr – ist ein Kafir, ein Pharisäer.
Flieg auf, kleiner Vogel!
Im Gespräch über einige Predigten von Meister Eckhart nun glaube ich einen solchen Entwicklungsschritt getan zu haben – oder noch zu vollziehen. Verortete ich den Glauben / das Glauben bisher hauptsächlich in der Person der Glaubenden – also als eine Haltung und Handlung im Dienste der glaubenden Person -, so verstehe ich den Glauben und das Glauben nun als ein „Herausheben aus der Person“.
Was meine ich damit?
Wenn ich Eckhart „folge“, auf ihn „höre“, ist es mir als Geschöpf möglich, auf meinem „Seelengrund“ (in meinem „innersten Menschen“, wo ich nicht mehr Person bin) in der Leere vom Kreatürlichen zu Gott zu finden, „den Sohn einzugebären“; jedoch nur, wenn ich mich von Person und naturhaften Neigungen und Fähigkeiten „entblösst“ habe.
Laut Eckhart ist dies der Moment – eben das Nun -, in dem Gott sich zu mir Kreatur und Geschöpf herabneigt, herabkommt in mich hinein; der Moment, in dem ich mit Gott eins werde.
Und in diesem Nun nun, das über Zeit und Raum west und webt, stehe ich selbst über Raum und Zeit. Ich befinde mich in der „Fülle des Lebens“, im „Reich Gottes“, in der „Ewigkeit“ sogar.
Ich (nicht die weltliche, materielle Person) bin wie ein Falke, der sich hoch in die Lüfte schwingt und mit seinem geistigen, geistig geschärften Auge die ganze „Landschaft“ oder „Strecke“, den ganzen „Lauf“ seines Lebens, aller Leben aller Kreaturen oder Geschöpfe „über-schaut“.
Dieses aus sich selbst mit und in der Gnadenbewegung Gottes, der sich mir zuneigt, bei dem ich Wohlgefallen finde, Herausheben ist der Glaube, das Glauben.
Denn im Überflug, in der Vogelschau gelingt es mir (erst?), den ganzen Lauf und die ganze Breite meines vergangenen, vergessenen, verlorenen, gegenwärtigen und künftigen Lebens zu betrachten und verstehen: ich erkenne, wie viele Mäuse ich zu Elefanten erklärt habe, zu unüberwindlichen Bergen oder unergründlichen Schluchten.
Und in diesem absichtslosen Aufflug hinunter und gleichzeitig hinauf zu Gott glaube ich ganz und gar, und meine Leiden, Krankheiten und Versuchungen fallen wie Schuppen von mir ab, denn von dort oben und von hier unten sehe und weiss ich mich ganz und gar ungefährdet und im Guten.