Der Begriff der Schuld. Teil 1

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Sündigen bedeutet mehr, als gegen irgendwelche von Menschen vereinbarten Regeln zu verstossen. Die Sünde wendet sich frei und bewusst gegen die Liebe Gottes und ignoriert ihn. Sünde ist letztlich die „bis zur Verachtung Gottes gesteigerte Selbstliebe“ (Augustinus), und im letzten Extremfall sagt das sündige Geschöpf: „Ich will sein wie Gott“ (Gen 3,5). (Youcat, #315)

In meiner eigenen Biografie spielt Schuld eine grosse Rolle.[2] Das Bewusstsein von Schuld – ob wirklich oder eingebildet (Schuldgefühle) – lässt sich auf den allzu oft gehörten Spruch meiner Eltern zurückführen: „Selber Schuld“.

Gleichzeitig würde ich sagen, das voreilige „auf-sich-nehmen-von-Schuld“ gehört ebenfalls in meine zentralen Verhaltensmuster. Und das, obwohl ich längst weiss, dass du – wie ich kürzlich irgendwo gehört oder gelesen habe – mit dem Eingeständnis von Schuld (berechtigt oder nicht) den andern / dem andern Macht über dich verleihst. Wer Schuld eingesteht, begibt sich in Abhängigkeit.

Und das ist vermutlich einer der Gründe, weshalb wir so ungern Schuld eingestehen. Uns so ungern bei andern „aus tiefem Herzen“ entschuldigen.

Natürlich ist das Nachdenken über Schuld nie zu Ende, doch möchte ich hier einige Gedanken notieren, die mir auch für meine religionspädagogische Tätigkeit wichtig sind.

3 Geschichten 

In der Bibel gibt es viele erschütternde Geschichten von Schuld. Und was das Schuldigsein mit dem Menschen macht. Ich will hier zum Einstieg drei Geschichten diskutieren, die mir selbst sehr wichtig sind. Die ich selbst auch immer unbedingt in meinen Religionsunterricht einbauen werde.

Böser Geist 

So überkommt Saul in 1. Sam 16 der „böse Geist Gottes“. Es ist für mich – ähnlich wie die Geschichte von der „Legion von Dämonen“ in Markus – eine grundlegende Erzählung davon, wie Schuld wirken kann.

Wenn ich der Gerechtigkeit halber auch ganz deutlich anfügen muss, dass ich den Grund für diese „Heimsuchung“ nicht verstehe und nicht billige: Gott bestraft Saul für seine Milde gegenüber einem eroberten Volk. Das kann in meinen Augen nicht der Wunsch und die Absicht Gottes sein. Aber das wäre sicher eine Reflexion wert: zum Thema „Institutionen und Traditionen gegen ethische Erwägungen“.

Der Schuld tragende Mensch wird also depressiv, seine Seele, sein Herz verdüstert sich. Schuld tragen kann sogar bewirken, dass der davon betroffene Mensch alle Handlungsfähigkeit – vielleicht gar alle Menschlichkeit – verliert.

Schuld durch Begehren 

Die zweite Geschichte stammt aus dem zweiten Samuelbuch. Es ist die Geschichte von David, der Batseba nicht nur verführt, sondern dafür sogar ihren Mann bewusst und absichtlich in den Tod führt (2. Sam 11).

In der Folge dieser Untat erklärt der Prophet Natan David die Konsequenzen seiner Tat: er selbst wird nicht sterben, ihm selbst ist schon vergeben. Als Strafe jedoch wird sein erstgeborener Sohn von Batseba sterben müssen.

David versucht durch Reue und Fasten dieses Unglück zu verhindern. Doch das Kind stirbt trotz aller Bitten.

David richtet sich wieder auf von diesem Unglücksschlag und zeugt mit Batseba ein zweites Kind, den zukünftigen König Salomo.

Der Mensch kann von Schuld heilen 

Den prägendsten Eindruck für mein Verständnis von Schuld hat mir die Lektüre der Geschichte des „gelähmten Mannes“ vermittelt. Dieser wird von seinen Freunden durch das abgedeckte Dach mitten in die Versammlung hinabgelassen. Die Pharisäer kritisierten die Heilungsabsicht Jesu: nur Gott selbst könne Sünden vergeben.

Kurzer Zwischenruf: biblisch gesehen ist Krankheit, Armut und andere Anfechtungen immer Konsequenz von falschem, schuldigem Verhalten der Menschen. Wer also krank ist, der ist „selber Schuld“. Dies ist übrigens – wie das Susan Sontag erschütternd geschildert und analysiert hat – auch heute noch bei gewissen Krankheiten der Fall, so bei Krebs. Die von Krebs befallenen Menschen sind – durch psychische Schwäche, falsches gesundheitliches Verhalten, Grübeleien und Depressionen, etc. – selbst für ihre Krankheit verantwortlich…

Jesus jedoch erwidert auf diese Kritik – und hier zitiere ich bewusst die Bibel in gerechter Sprache! -:

Damit ihr wisst, dass Menschen Vollmacht haben, auf dieser Erde Sünden zu vergeben – so sprach er zur gelähmten Person: Ich sage dir: Steh auf, nimm deine Trage und geh in dein Haus! (Lk 5,24)

Ohne über die mutige Übersetzung dieses sonst ganz auf Jesu Wirkmacht konzentrierten Wunders genauer einzugehen,[3] hat mich dieses Beispiel Jesu geradezu befreit. (Für die andere, traditionellere Lesart siehe in der Einheitsübersetzung: Lk 5,17-26.)

Denn es sagt uns: Du selbst kannst vergeben. Und im Vergeben, Verzeihen den anderen, der Schuld trägt, von dieser Schuld befreien.

Erste Bilanz 

Ich selbst glaube, noch nie eine solche heilende Erfahrung der Schuldvergebung gemacht zu haben. Gewiss wurde mir oft verziehen, musste mir oft vergeben werden, – selbst für nur eingebildete Schuld (Schuldgefühle). Doch richtig frei wurde ich dadurch nicht.

Ich denke, das liegt unter anderem auch daran, dass ich selbst schwer vergebe und verzeihe, nachtragend bin.

Es gibt immer wieder Tage, an denen ich mir meiner Schuldgeschichte(n) bewusst werde. Das sind keine schönen Tage, sie enden in Prokrastination und Selbstbestrafung. Dennoch glaube ich an die Geste der Reue, an die wirklich gemeinte Geste der Busse, an das Schuldeingeständnis als erlösender Faktor – für den Schuldigen mehr noch als für den Geschädigten.

Doch lässt sich Schuld mechanistisch, gesetzlich „abtragen“, „ableisten“, um von ihr befreit zu werden, – um den Geschädigten zu entschädigen, um sich zu ent-schuld-igen?

Im nächsten Teil dieser Blogreihe möchte ich daher auf die Geschädigten blicken und darüber nachdenken, wo sie stehen in der Gleichung Schuldiger-Geschädigter – und wie wir theologisch und spirituell auf sie blicken.  


[2]

Link auf alle mit dem Begriff „Schuld“ versehene Blogeinträge: https://herzbeschneidungen.wordpress.com/tag/sunde/

[3]

Die Übersetzer berufen sich auf die hebräische Tradition, dass der Begriff „Menschensohn“ nicht eigentlich ein „Hoheitstitel Christi“ ist, „sondern als Ausdruck, der Mensch, ob Mann oder Frau, als Gegenüber Gottes anspricht.“ BigS, S. 1767.