Führe uns…

Führe uns nicht in Sicherheit
Weder Schein noch Stein retten.
Führe uns in Versuchung
Um die Stärke zu glätten
In Schwäche.

Führe uns nicht mit Regeln
Weder Schrift noch Schlag retten.
Führe uns in Versuchung
Um das Gute zu härten
In Schwäche.

Führe uns nicht in Höhen
Weder Steig noch Stab retten.
Führe uns in Versuchung
Um die Angst zu schütten
In Schwäche.

Führe uns nicht mit Mut
Weder Stahl noch Sprung retten.
Führe uns in Versuchung
Um die Gnade zu hüten
In Schwäche.

Führe uns nicht in Wohlstand
Weder Staat noch Stiefel retten.
Führe uns in Versuchung
Um die Vorhaben zu scharten
In Schwäche.

„Verinnerlichung“

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In meiner Arbeit als Religionslehrer, als Religionspädagoge geht es mir meist darum, in Kindern und Jugendlichen von mir so genannte Übertragungsprozesse zu motivieren und aktivieren. Ziel eines solchen Prozesses wäre es, das Kind oder die Jugendliche nicht nur in eine (objektivierende?) Reflexion hinein zu leiten, in deren Rahmen es Alltags- mit Glaubenserfahrung zu kombinieren lernt; und aus dieser Reflexionsleistung heraus auch kompetent wird, eine solche Hintersinnung in alltäglichen Situationen aus sich selbst heraus zu vollziehen.

Mit Hintersinnung meine ich ein geistiges Handeln, das sich auf das körperliche, das weltliche Handeln in der ersten Phase explizit und späterhin implizit auswirkt und ausdrückt. Dabei gehe ich nicht von mir selbst aus: auch ich handele oft einfach so, wie „man“ handelt oder glaubt, handeln zu sollen – also unsinnig und/oder unhinterfragt. Nein, ich bin kein Vorbild; aber ich habe Erfahrungen dieses impliziten Hintersinnens gemacht, kann sie erzählen und manchmal sogar vorleben…

Es gibt diesen schönen biblischen Spruch vom Gesetz, das mit der Absicht der Verwirklichung eines „gottgemässeren Menschenlebens“ auf oder in das Herz des Menschen geschrieben wird. (Ich habe hier bewusst das „gottgemässere Menschenleben“ in Anführungszeichen gesetzt. Damit will ich ausdrücken, dass es sich hier nur um eine Annäherung an das – nur von Gott? – gewünschte Verhalten des Menschen gegenüber dem andern Menschen handelt.)

Doch seien wir präzise: der oben angesprochene und im Bild des beschriebenen Herzens ausgedrückte Prozess ist kein mechanischer, etwa wie die Formatierung einer Computer-Festplatte!

Das ist er nämlich nur zu leicht: mechanisch-äffend. Weil wir Menschen uns denkend anpassen können: vor allem in Situationen des Lernens, in der Schule oder allgemein im Unterricht, sind Jugendliche und Kinder durchaus fähig, „anders“ zu denken, manchmal auch, sich „anders“ zu verhalten. Für einen mehr oder minder  langen Augenblick wird ihr „draussen“ oder „in der Umwelt“ geltendes Programm „überschrieben“. Und der Religionspädagoge erhält einen durchaus falschen, vielversprechenden Eindruck von bewirkter oder wenigstens möglicher Veränderung von Verhalten und Nachdenken.

So gelingt es Jugendlichen durchaus, sich in Dilemmageschichten von Kohlbergs „Law and Order“-Stufe auf jene Stufe zu hieven, also von der konventionellen Stufe auf die postkonventionelle Stufe zu gelangen, in der allgemeine, universale Erwägungen vor konventionellen, organisatorisch-staatlichen zu liegen kommen. Das können sogar Mittelschüler! Doch handelt es sich dabei um eine reine „Denkleistung“, die vielleicht (und sehr wahrscheinlich) auch bereits durch vorgängige Religionslehrerinnen oder auch Aussagen und Verhalten der Eltern konditioniert sind.

Darum aber darf es nicht gehen. Konditionierung ist Formatierung, und Formatierung ist das Prägen eines Menschen auf seine Funktionalität hin, legt den Schwerpunkt auf sein Funktionieren statt auf sein Sein. 

Der von mir durch die Übertragungsprozesse angestrebte Schritt der Verinnerlichung, der von mir so sehr (auch für mich!) erwünschte Schritt des „Denkens mit dem Herz“ oder besser: „Denkens aus dem Herz“, – dieser Schritt erfolgt erst, wenn das „Universale“ oder „Absolute“ wirklich verstanden worden ist, eingegangen ist in Seele und Denken. Selbst die Jünger Jesu geben ja zahlreiche Beispiele davon, wie „unverstanden“ die Lehre des Rabbi selbst von den eigenen Schülern war, die mit ihm bereits einige Jahre unterwegs waren…

Doch gebe ich durchaus zu, dass ein gewisses „Konditionieren“ erforderlich ist, um uns Menschen im Moment, da eine solche Übertragungsleistung wirklich vonnöten ist, dafür aufzuwecken, auferstehen zu lassen in dieser Handlung und Anwendung des Glaubens. Das „Konditionieren“ wäre dann eine Art imitative Einübung.

Und vielleicht sollte man Glaubenlernen nur mit Erwachsenen unternehmen, denn erst sie haben Erfahrungen gemacht, ide unseren Glauben zur Entwicklung (oder zum Ersterben) zwingen: Erfahrungen von Krisen und Nöten, von Gefährdung und Ungewissheit.

Dennoch werde ich die Verwandlung, die Auferstehung in den Schülern immer anstreben, anzustreben versuchen. Werde mich nicht zufrieden geben damit, reine Denk- oder Überlegungsleistungen zu würdigen, sondern weiterhin Glaubens-Erfahrungen anzustossen versuchen. Und glücklich sein, wenn eine meiner zehn oder fünfzehn Schülerinnen das Prinzip der „Goldenen Regel“ so verstanden hat, dass sie oder er nicht mehr anders handeln kann, weil das Herz es nicht anders mehr will.

Denn das eigentliche Ziel, das ich mir meist nicht eingestehe, aber doch mitfühle, ist ja die Besserung der Welt, in der wir leben, mit und durch unsere Kinder und Jugendlichen. Und so grosskotzig und naiv dies klingt, so energisch stehe ich dafür ein.

Versuchung

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Beten heisst nicht immer auch verstehen. Die ganze Rätselhaftigkeit des Worts kann sich in einer Sentenz, in einer Phrase verbergen. Obwohl man immer wieder daran stösst, vielleicht nicht einmal mit Unverständnis, sondern bloss mit Erstaunen, dass einem dieses Wort schon wieder fast mühelos über die Lippen gegangen ist, und grade obwohl man keine Handhabe gegen seine Magie findet, bannt es einen in die Haltung eines Kleinkindes, das einen Satz wie aufspürend nachzusagen vermag, noch ganz ohne etwas von seinem Sinn zu verstehen.

Seit Jahren, Jahrzehnten geht es mir so mit dem

Und führe uns nicht in Versuchung

Des Vaterunser. Dieser Satz, direkt nach dem Doppelsatz der Vergebung, irritiert und verwundert. Umso mehr jemand wie mich, der mit Hiob einen guten, ja alltäglichen Umgang pflegt und sich nicht nur betroffen, sondern gemeint weiss in dieser Geschichte.

Wenn ich jedoch darüber nachgedacht habe, schien mir dieser Spruch immer wie ein falscher Spruch, der vermutlich fehlerhaft überliefert wurde oder aber noch ganz im Denken des „ganz andern“ Gottes des Alten Testaments verwurzelt ist: Gott ist derjenige, der in die Versuchung führt?! Gott, so wurde ich gelernt, so habe ich verstanden, so glaube ich, ist das Gute, auch das Prekäre, aber niemals das „Versuchende“.

Es könnte durchaus sein, dass ich oder jemand anderes in einer ähnlichen Lage in eine neue Entwicklungsstufe meines Glaubens hinübergehe, wenn ich diesen Spruch zu begreifen vermag…

Dann bin ich auf Hans Weders „Die „Rede der Reden“. Eine Auslegung der Bergpredigt heute“ gestossen. Und obwohl das Vaterunser aus dieser Rede stammt, schien mir diese Rede bisher immer eine der verbrauchtesten, ja scheinheiligsten Reden der Bibel. Und ich lernte, dass und wie dem nicht so ist.

Ich bin mir dabei nicht sicher, ob ich die Gedankengänge Weders richtig nachvollziehe, aber sie haben mir eine Verständnismöglichkeit eröffnet, die meinen Glauben erweitert hat. So glaube ich wenigstens.

Schon vorher war mir klar, dass die Bitte darum, nicht in Versuchung geführt zu werden, ein Eingeständnis der Schwäche des Betenden ist. Will heissen, der Betende gesteht, dass er vor der Versuchung schwach ist. Und dass er daher lieber nicht in Versuchung geführt werden möchte. Nicht umsonst heisst es ja gleich darauf (wieder eine Doppelforderung, sehr hebräisch-biblisch), man wolle bewahrt werden vor dem Bösen.

Weder nun nimmt genau dieses Konzept der Schwäche auf. Wir sind schwach und daher auf Gottes Stärke und Hilfe angewiesen. Nur wenn wir uns dies bewusst sind, ständig neu bewusst machen, uns in dieser demütigen und ehrlichen Einsicht üben, befähigen wir uns dazu, nicht in Versuchung zu geraten.

Der moderne Mensch (und Weder setzt das „modern“ immer in Anführungszeichen) verlässt sich häufig nicht auf andere, nur auf sich selbst glaubt er zählen zu können. Er hält sich für stark – seines Glückes Schmied. Diese Stärke, und das ist ganz Paulus, ist seine Schwäche, jene Blösse, mit der er sich der Lächerlichkeit und Peinlichkeit (im Sinne des Schmerzlichen der „Pein“) ausliefert – freiwillig und willentlich.

Versuchung wird hier also als der Moment gedacht, in dem der Mensch sich stark glaubt. Er verlässt sich auf nichts, nämlich auf sich selbst.

Das Nichts aber, wie das Böse, hat keine „Eigenständigkeit“ (Weder). Es ist – „nichts“. Verlässt man sich also auf „nichts“ (und daher nur auf sich), riskiert man, „den Teufel mit dem Beelzebub austreiben“ zu wollen:

In dieser Situation der Versuchung erinnert die Bitte im Unser Vater daran, dass ich nicht mich selbst gegen das Böse aufbieten kann, sondern dass gegen das Vernichtende nur der schöpferische Gott aufzubieten ist.

Folgt man Weders Gedanken, so ist die uns von Gott in Freiheit zugestandene Liebe gerade der Ort, an dem wir in Versuchung geführt werden. Sie lässt ja gerade „Raum für das Sich-Verlassen auf das Nichts“:

Sie kann nicht ausschliessen, dass ich mich auf meine Stärke mehr verlasse als auf sie. Würde sie das ausschliessen, wäre sie selbst zur Stärke degeneriert. (Hervorhebung von mir)

In dieser Freiheit durch Liebe muss es das Ziel des Betenden also sein, sich hin zu dem Ort zu bewegen, „wo er sich im Kampf gegen das Böse auf Gott verlässt“.

Und noch etwas verstehe ich damit: Alles Beten ist Bewegung, Bewegung hin zu Gott.

Weder behauptet in seiner Auslegung letztlich, dass es nicht um die Hineinführung in die Versuchung gehe, sondern um die Herausführung aus ihr.

Damit aber behält die Bitte weiterhin ihren bitteren Beigeschmack der „Prüfung“ durch Gott, nicht wahr?

Obwohl dies eine Möglichkeit ist, bin ich mir nicht mehr sicher: Das „Führe uns nicht“ ist vermutlich einfach vorauseilendes Eingeständnis der eigenen Schwäche, die sich (manchmal) stark genug glaubt, alles selbst bestehen zu können. Als Eingeständnis ist sie auch ein Zugeständnis an Gottes (rettenden) Beistand in dieser Gefährdung durch Selbstsicherheit.

Vielleicht geht es nur darum, und nicht um die Probe, den Test, den man uns immer wieder einbläuen wollte von kirchlicher Seite her…

Ich habe einiges verstanden, aber es bleibt für mich auf Messers Schneide. Vielleicht muss diese Deutung in mir noch reifen, noch wahrer, gelebter werden. Geholfen hat es mir letzthin, als ich in einem Nachtgebet des Te Deum (September-Ausgabe) diese schwierig zu deutende Bitte sogar dahin gewendet sah, dass sie um das „nichts“ gekürzt wird:

Führe uns in der Versuchung
damit wir auf deinem Weg bleiben

Quellen:

  • Hans Weder: Die „Rede der Reden“. Eine Auslegung der Bergpredigt heute, TVZ (5) 2003; S. 190-193.
  • Te Deum, Klosterverlag Maria Laach, September 2016.

Der Glaube an die Bösen

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Manche Menschen sind einfach böse. Da kann man nichts anderes organisieren. Denen geht es nur um den eigenen Vorteil. Und dafür gehen sie über Leichen.

So schreibt Inger Schattauer in einem Kommentar zum Hans Weder-Zitat, das ich kürzlich gepostet habe.

Es erinnert mich diese Aussage an die Frage meines siebenjährigen Jungen, weshalb die Menschen den Jesus denn so schrecklich geplagt hätten?

Darauf habe ich auch schon die billige Antwort gegeben, diese Menschen seien eben böse gewesen. Und hinzugefügt: sie haben sich geweigert, das Gute zu sehen.

Mein Sohn stellt die Frage jedes Mal neu; das heisst, meine Antwort hat ihm nicht genügt, wird ihm nie genügen.

Uns allen kann dies nicht genügen, darf dies nicht genügen.

Oh ja, auf die Bösen scheint dieselbe Sonne wie auf die Guten, der Regen fällt auf Gerechte wie Ungerechte gleichermassen (Mt 5,45). Und ich bin fast versucht zu sagen, indem ich wiederum Matthäus paraphrasiere (Mt 26,11): „Ihr habt allezeit die Bösen bei euch; mich aber habt ihr nicht allezeit.“

Was Hans Weder mit seinem Satz ausdrücken wollte, hat mit unserer positivistischen Weltwahrnehmung zu tun: Der moderne Mensch glaubt, Probleme mit technischen oder wissenschaftlichen Mitteln erforschen und im Anschluss dann auch lösen zu können:

  • die Klima-Erwärmung mit der Versenkung von CO2
  • die AHV mit einer Erhöhung des Rentenalters oder des Umwandlungssatzes
  • das Ausländerproblem mit Mauern oder polizeilichen Massnahmen
  • das Energieproblem mit dem Bau zusätzlicher Atomkraftwerke

… um nur einige Beispiele zu nennen. Will heissen: Kontrolle ist alles, Vertrauen ist nicht mehr nötig.

Ohne auf die Diskussion einzusteigen, ob Bosheit – oder Armut! – im Menschen (oder Tier?) vererbt oder erlernt ist (oder in ungleichen Teilen je nach Mensch vererbt oder erlernt), bin ich doch der Überzeugung, dass Bosheit die Folge der strukturellen Sünde (oder Sündhaftigkeit) der Welt ist.

Ich erlebe täglich Kinder mit wüsten Ausdrücken im Mund, wer tut das nicht? Sobald ich ihnen aber erkläre, was das bei andern (oder eben mir) bewirkt, sind sie erstaunt, „bessern“ sich für einige Momente der Einsicht.

Diese „wüste Rede“ führt für mich direkt in das „wüste Handeln“ – und in die Überzeugung, dass es als „realistisch“ oder immerhin „angemessen“ gelten darf, weil „alle so tun“.

Als Christ muss ich mich von dem oben zitierten Glauben resolut abwenden. Das Böse ist ein Ding der Möglichkeit; als solches ist es auch ein Ding der Möglichkeit, das Böse zum Guten zu wenden.

Aber eben: „Sie wissen nicht, was sie tun“ (Lk 23,43)!

Und das Wissen, wovon hier gesprochen wird, ist eines, das auf Zuhören und daher auch auf Einsicht basiert. Nicht ein erlerntes, schulisches Wissen, kein Positivismus.

Als jemand, der Glauben zu vermitteln sucht, bemühe ich mich darum, auch „schwache“ Schüler voll anzunehmen, in den Unterricht einzubinden. Diese „Schwachen“ benehmen sich häufig und mit Leichtigkeit und Gewohnheit „daneben“ – werden sie jedoch ermutigt und ernst genommen, stelle ich ebenso häufig eine Kreativität und Bereitschaft zur Einsicht fest, die ihren Altersgenossen (den „Starken“) fast zu fehlen scheint.

Als wären die negativ „Auffälligen“, denen unsere Eltern noch locker vom Hocker eine „üble“, ja verbrecherische Zukunft prophezeit hatten, fast die Einsichtigeren, wenn man sie anspricht.

Ja, wenn man sie anspricht…

Und ich behaupte das mit der mir eigenen Naivität: es ist niemals eine Lösung, ein „Problem“ zu verdrängen, indem man es wegsperrt oder eben: „verwahrt.“

Sozialtechnologisch…

Ähnlich … geht manches ethische Konzept der Gegenwart davon aus, dass die Beseitigung des Bösen eine Sache des Wissens um das Gute sei, dass die Sünde ein Organisationsproblem darstellt, das sozialtechnologisch aus der Welt geschafft werden könne, wenn man nur die Verhältnisse ändern könnte.

(Hans Weder: Die „Rede der Reden“, 2003; S. 192)

In was für einer Gesellschaft… ?

Ich weiss, dass du weder kalt noch warm bist!
Halte nur fest was du hast. Du solltest
kalt oder warm sein. Ich aber spucke dich
Aus – dein Reichtum ist dein Mangel.

Trage nur leicht an deinem hybriden Siegeskranz!
Dein ist der Mangel an Armut. Du weisst nicht
wie es in Armut ist und willst es nicht
wissen wie die sind auf den Bänken mit ihren Dosen
Anker-Bier. Halte nur fest. Wärst du
kalt oder warm! Bist kalt und deine erfrorenen
Ohren hören nicht mein Klopfen und deine Nase
riecht nicht den Braten der Güte und des Verzeihens
und deine Finger halten nicht den Spaten
um dich aus dem Splitter herauszugraben…

Reibe dir nur Salbe auf deine Augen wie das Kind
das nicht gefunden werden will!

Die Türe die ich dir biete
ist keine zu einem Eigenheim
oder zu einem 3a-Konto oder
zu einem Atombunker —

Die Türe ist draussen
vor deiner Türe in ihnen
den Widergängern der Gier
den Untoten der Reichen
den Fledermäusen des gebohnerten Landes —

Und ich weiss dass du lau bist
und speie dich auch noch bevor du
in meinem Magen dich an der Wärme
und Tatkraft der Bakterien und Säfte
gütlich tun konnntest wie an deinem Land
und an diesen Menschen mit ihren
Kränzen aus Augenringen die sie
um ihre Rippen winden um dich nicht
erschrecken oder stechen…

(nach Offb 3,14-20)

Arbeit – Lohn und Leben (Teil 2)

Seit ich aber nun denken kann – und in Erinnerung an meine „Verkopfung“ muss ich ja fast mein Denken als mein Fühlen (und umgekehrt) bezeichnen -, habe ich eine aus weltlicher Sicht gefährliche Haltung der Arbeit gegenüber. 

Es ist dies schwierig auszudrücken. Vielleicht über meinen Vater, dessen Deontologie oder Arbeitsethos sehr wohl als durch und durch schweizerisch-typisch ist, fand eine Art Gegen-Bewegung in mir statt: Arbeit ist im tiefen Inneren entweder sinnlos und/oder nutzlos, erhält einen aber materiell am Leben, oder aber sinnhaft und/oder nützlich, kann jedoch eine materielle Erhaltung meist nicht gewährleisten.

Das hatte keine religiöse oder biblische Begründung, erhält es erst jetzt in der viel späteren Reflexion. Der „Wettlauf“, von dem Paulus immer wieder spricht (siehe z.B. auf WiBiLex das Stichwort „Wettkampf„), ist eben ein geistiger, aber doch vielleicht vermutlich in Werken zu messender Wettbewerb. 

Wenn ich versuche, den Ursprung dieser Gegen-Bewegung zu finden, komme ich sicher auf meine Bücherleidenschaft zurück, auf die Erkenntnis von und Begeisterung für eine frühe „république des lettres“ oder vielleicht sogar „république des lettrés“, also eine Gesellschaft der Gebildet-Geistigen. Schriftsteller waren eine Idole. Einige davon waren arm gewesen und/oder geblieben, während andere reich geworden waren mit ihren Werken. Ich bewunderte beide „Sorten“ von Autoren, in der Pubertät litt ich sehr viel mehr für die armen und verkannten Dichter, Rimbaud, Rousseau oder Verlaine, Baudelaire… 

Der „Wettlauf“, um den es dabei ging, war also (schon damals) ein geistiger, einer der Fantasie. Meine Berufswünsche waren, soweit ich mich erinnere, keine konkreten, nie wollte ich Astronaut oder Feuerwehrmann werden. Als 2. Klässler spielte ich in einem Umzug Michael Ende (wir stellten seine „Momo“ dar), trug einen Frack mit Zylinder. 

Nach dem Studium gab ich mich in die Arbeitswelt. Für rund 10 Jahre arbeitete ich, um zu (über) leben. Als begeisterungsfähiger Mensch hatt ich teilweise auch Freude an dieser Arbeit, jammerte aber immer allen vor, ich könne nicht schreiben, meine eigentliche „Arbeit“ und „Berufung“. 

Arbeit ist für mich daher seit frühester Jugend eine Besinnung, ein Nachdenken, vielleicht Theologisieren oder Philosophieren. Sie ist als solche „weltlich“ oder „auf dem Markt“ wert- und nutzlos, während andererseits die marktwirtschaftlich fruchtbare Arbeit in meinen Augen meist nutz- und wertlos, ja auf Verschwendung oder Abnutzung ausgerichtet ist. 

Dieser Haltung liegt keine Leibfeindlichkeit zugrunde. Doch es geht um Unabhängigkeit und Freiheit: das Werk tun, das ich will und (christlich gedacht) zu dem ich mich berufen weiss. Dass diese Haltung unter Umständen in die Armut führt, beschneidet jedoch wieder die so gewonnene Freiheit und Unabhängigkeit: in Armut kann man nicht frei sein, man begibt sich in andere, neue Abhängigkeiten und wird Sklave des Rappens oder besser: Rappendrehens. 

Oder anders gesagt: der Wettlauf ist mehr noch zu einem Wettlauf ums Überleben geworden, aber unter anderen Vorzeichen: ein Erlernen der harten Realität angesichts des Strebens nach einer Verwirklichung der Berufung. 

(Fortsetzung folgt – im nächsten Blogeintrag zum Thema setze ich mich näher mit Armut und Arbeit auseinander.) 

Denn es kommt eine Zeit…

Denn es kommt eine Zeit, da werden die Menschen der gesunden Lehre des Evangeliums kein Gehör mehr schenken. Stattdessen werden sie sich Lehrer aussuchen, die ihren eigenen Vorstellungen entsprechen und die ihnen das sagen, was sie hören möchten. Sie werden ihre Ohren vor der Wahrheit verschliessen und sich Legenden und Spekulationen zuwenden.

(2 Tim 4,3f.; NGÜ)

Befreiung

Die Befreiung ist nie zu Ende. Es ist nicht die Sklaverei, die wir mitschleppen; wir wollen Heimat. Beziehungen sind uns Eigenheime. Immobilien – der unrührbare Stein – geben uns in der Materie (im Fleisch, wie mein Freund Paul sagen würde) ein Gefühl von Findung. 

Die Befreiung ist nie zu Ende: immer ein Schritt von der Mündigkeit entfernt – und ihr doch näher gekommen mit jedem heroisch-minimen Akt der Lösung aus Bindungen und Findungen, jedem durstigen armen Schritt weiter in die Wüste der Freiheit hinein, in die nächste Versuchung und ins nächste Anklammern an eine neue Form von Sklavenhaft.

Die Befreiung ist nie zu Ende. Jede Tat ist wichtig – Freiheit kann kann auch hinter uns liegen, kann in der Lücke der Zeit ihr Zelt aufschlagen. Bewegung ist alles.

Bewegung ist alles – und der erste Beweger ist immer da, wo wir ihn nicht vermuten; ist immer dort, wo wir noch nicht waren…